Der Begriff Wabi Sabi ist einer der unfassbaren Begriffe für die es in unserer Sprache keine Umschreibung oder Übersetzung gibt. Nahezu alle japanischen ästhetischen Künste tragen den Kern des Wabi Sabi in sich. Als erstes bin ich mit dem Begriff in Berührung gekommen als mein Interesse an Bonsai erwachte, danach im Ikebana und letztlich im Bereich des Tee. Was macht aber Wabi Sabi so speziell. Um das zu beantworten müssen wir uns von manchen Blickwinkeln unserer eigenen Kultur lösen. Wabi Sabi ist so etwas wie der Kontrapunkt unseres Schönheitsideals. Vieles empfinden wir als ansprechend was dem Ideal der Perfektion sehr nahe geht. Im Bereich des Wabi Sabi sollte man sich davon lösen. Gerade der Fehler macht im Wabi Sabi die Schönheit aus. Die zerbrochene Schale die in mühevoller Kleinstarbeit mithilfe von Kintsugi neu zusammengefügt wurde. Die Hagi Keramik in Ihren sich verändernden Stadien. Die Patina auf einer wunderschönen Bonsaischale oder Teekanne. Der Riss im Holz. Die (mit Absicht) nicht perfekte Form japanischer Keramik. Wenn man seine Augen einmal dafür geöffnet kann man Anklänge fast überall dafür finden. Es gibt ein paar Richtlinien die die Grundzüge dieses Ideals bilden, wobei das Wort Ideal Wabi Sabi abwertet. Zwei Punkte treten als Kernpunkte hervor auf denen sich das ganze Aufbaut. Natürliche Materialien auf der einen Seite, die Zeit auf der anderen. Auch in unserer Kultur findet man Anklänge davon, z. B. bei den Liebhabern von Antiquitäten. Ein Objekt wird nicht trotz seiner Fehler wahrgenommen, sondern aufgrund eben dieser. Bei den natürlichen Materialien gibt es wiederum einige beliebtere. Dunkle Braun- und Erdtöne sind z.B. beliebter als Rottöne. Hier findet man auch eine Analogie zur Yixing Keramik. In früheren Zeiten waren die braunen Kannen beliebter als die roten, wovon viele nach Europa verkauft wurden. Heute wird der rote Ton wegen seiner Vorzüge jedoch mehr geschätzt, was wiederum nicht die braune Keramik abwertet, sondern diese einfach anders ist. Holz und Stein sind auch zwei sehr beliebte Materialien, Metall ebenso. Was hat es aber mit der Zeit auf der anderen Seite zu tun. Wichtig ist, das sich das Material mit der Zeit verändert, an Reife gewinnt. Viele aus unserem Kulturkreis würden die Zeit am liebsten stoppen und einfrieren damit sich nur nichts verändern kann. Die Zeit sollte man loslassen können um die tiefe von Wabi Sabi zu begreifen. Hier spielt viel die Lehre des Zen und daoistischen Leitbildern hinein. Soweit diese beiden teils auseinander liegen, so eng sind sie miteinander verknüpft. Ein Objekt, Lebewesen, alles, beinhaltet von Anfang an was es war, was es ist und werden wird. Es gibt keine Trennung von all dem. Nur den Moment, das hier und jetzt. Doch trägt es seine Vergangenheit stolz in sich, zeigt es durch seine Veränderung (Patina, Risse, Sprünge, Reperaturen), seine Zukunft ist auch schon da, nur nicht sichtbar. Ein Objekt das in Stillstand ruht kann nie die Ehrwürdigkeit von Wabi Sabi in sich tragen, weshalb Aluminium zum Beispiel nie verwendet wird. Wenn ich jetzt von Fehler spreche ist es kein Fehler im Sinne dessen, sondern soll der Perfektion widersprechen. Ein altes japanisches Sprichwort sagt: "Perfektion ist den Göttern vorbehalten" Und jetzt wird es erst richtig kompliziert. Japanische Keramik ist beliebter wenn es Wabi Sabi in sich trägt und kann Preise erreichen die für einen kleinen Guinomi (Sakeschale) schier unglaublich sind. Doch weshalb ist das so? Es ist der Geist der in allem steckt. Es wird davon gesprochen das man nur mit dem richtigen Geist (Zen) ein "vollendetes" Werk erschaffen kann. Diese Vollendung ist nicht die der westlichen Welt. Das Objekt ist so fehlerbehaftet das sich der Geist nicht daran stoßen kann. Man muss über das Objekt meditieren können um im Geiste die Form zu vollenden. Ein Fehler ist dafür da, das er da ist und nicht das er kaschiert wird. Jedoch dürfen diese Fehler nicht die Absicht sein, sondern "passieren". Hier wird hoffe ich der schwere Aspekt in der Keramik sichtbar. Der Fehler in einer Keramik soll natürlich sein und sich in die Gestaltung einfügen. Damit das Ganze noch komplizierter wird ist die Form des Objektes wichtiger als das Objekt an sich. Auch wenn das Objekt schon lange verschwunden ist (z.B. ein Baum, die zerbrochene Schale, die Bambusvase), lebt die Form ewig weiter. Hier spielen religiöse und philosophische Aspekte hinein, die in der westlichen Welt undenkbar sind. Die Zeit ist der wichtige Faktor des Wabi Sabi. Stillstand ist der Tod, Veränderung zeigt uns, das die Welt doch immer gleich bleibt. Wenn man vor dem Spiegel steht und sich über neue Falten freuen kann, wenn etwas geliebtes zerbricht und man Lächeln kann, dann kann man Wabi Sabi sehen. Zum Ende bleibt noch immer die Frage offen was Wabi Sabi eigentlich ist. Wabi Sabi ist das Zeichen der Zeit in unserem Alltag in seiner ursprünglichen natürlichen und einfachsten Form und doch so viel mehr. Es ist eine stille Meditation an die Existenz und deren Ende. ...
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