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Ich bin immer wieder erstaunt, wie neu die Alltagsroutine Tee zu trinken in vielen Teilen Chinas ist. Ich war vor ca. 10 Jahren ein paar Mal in China und war erstaunt, abseits der Teeregionen, wenig Tee-Bezug zu sehen, am ehesten Teehäuser in Parks. Teeläden gab es, wenn überhaupt, nur in speziellen Gegenden in Großstädten. Es schien mir eher kein Massengetränk zu sein, also nicht vergleichbar wie Kaffee im Westen. Auch dass Tee hptsl. im "Grandpa-Style" zubereitet wurde, fand ich interessant. Einige Chinesen in D und Ö sagten mir, dass sie erst in Europa anfingen Tee zu trinken, da es in ihrer Region unüblich sei, auch wenn sie von Südchina kamen. Interessant war da auch die Aussage, dass in der traditionellen chin. Medizin eher heißes Wasser als Alltagsgetränk empfohlen wird.

Mir war schon klar, dass viele "traditionelle" Gepflogenheiten, v.a. kulinarische, geschichtlich gesehen eher ein Luxus der Begüterten waren. Ist es aber wirklich so, dass Chinesen erst regelmäßig Tee trinken, wenn sie es sich leisten können? Ist die Preisfrage wirklich entscheidend? Oder gilt das eher für die Gongfu-Cha-Kultur im Gegensatz zu Alltagsroutinen mit "einfachem" Grandpa-Style-Tee? Es gab ja auch vor der wirtschaftlichen Öffnung Chinas große Teefabriken und gerade im "kommunistischen" China hätte ich es mir breitenwirksamer vorgestellt.

Aber auch in klassischen Teeregionen wie Yunnan war Teetrinken bis vor kurzem nicht selbstverständlich. Die Region war eher Rohstofflieferant für (wohlhabendere?) Regionen in Südosten. Ich hätte geglaubt, dass - wie oft bei ärmeren Bauern - die eigenen Produkte zumindest im Sinne einer Resteverwertung (zB. von Huang Pian) in den Alltag Einzug finden.

War einfaches Teetrinken im Alltag wirklich kein Massenprogramm in den Großstädten und Süd/ost-China?

Bearbeitet von blickwinkel
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  • blickwinkel änderte den Titel in Teeverbreitung in China?

@blickwinkel Das ist aus diversen Blickwinkeln sehr gut nachvollziehbar:

Einerseits, das Land ist gross, selbstverständlich mag nicht jeder Tee.
Ich erinnere mich an einen lokalen Pu'Er Produzenten aus Yiwu in Yunnan, der selbst aber gar keinen Tee trank - es war für ihn lediglich ein Business. 😅

Ansonsten, das Land ist gross, auf eine gewisse Weise könnte man den Vergleich wagen - China ist von gewissen Aspekten her wie die EU in vielen, vielen Jahren möglicherweise sein könnte, bestehend aus einigen früheren "Ländern" oder korrekter gesagt früheren Reichen, die zu China wurden. Bei den Ländern der EU gibt es ja auch sehr unterschiedliche Ess- und Trinkgewohnheiten - so leicht wird das nicht überall gleich werden. Ich denke da werden sich auch in hundert Jahren noch lokale Traditionen erhalten. Zudem, die einzelnen chinesischen Provinzen sind oft ein noch wesentlich umfangreicherer Schmelztiegel aus Dutzenden Volksgruppen ... auch traditionell ist da selbstverständlich Tee nicht überall gleichermassen etabliert.
Es gibt zwar vom Teeanbau entfernt lebende Volksgruppen wie bspw. die Tibeter, die eine lange Tradition von ausgiebigem Teekonsum aufweisen - gerade kürzlich habe ich wieder einen Tibeter kennengelernt, der von seinen familiären Teegewohnheiten berichtete - da gabs immer etwas Heicha.
Aber vom entwicklungstechnischen Blickwinkel aus betrachtet ist es natürlich grundsätzlich verständlich, dass Tee ursprünglich hauptsächlich dort konsumiert wurde, wo er auch angebaut wurde, und erst mit der Zeit ein immer grösserer und entfernterer Handel entstand. Die Leute an entfernten Orten mussten zuerst ja damit in Berührung kommen und es musste dort zum Trend werden, ansonsten würde sich kaum ein Teehändler dort niederlassen. Und so ist die Teekultur halt sehr unterschiedlich stark aufgeblüht. Ich persönlich gehe davon aus, dass das Zünglein an der Waage, wie schnell oder stark die Entwicklung in weit entfernten Orten voranging, angesehene, einflussreiche Personen waren, die mit dem Teetrinken anfingen, und es sich daraus zu einem lokalen Trend dort entwickelte, wo dann zuerst von andernorts importiert wurde bis irgendwann einer lokal einen Handel begonnen hat.

Ich sehs aber auch gerne aus einem noch anderen Blickwinkel: bei uns "kennt" heutzutage jeder Käse, aber kaum jemand kennt sich wirklich damit aus, und wenns hoch kommt, würden sich vielleicht 1/4 der Bevölkerung als Käseliebhaber bezeichnen, die täglich Käse essen, ein weiterer Viertel, der hin und wieder Käse isst, ein weiterer Viertel, der eher selten Käse ist und der letzte Viertel gar nicht - ich denke das kommt dem Verhältnis der Chinesen zum Tee als Ganzes gesehen ziemlich nahe.

Bearbeitet von GoldenTurtle
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Am 24.2.2022 um 20:03 schrieb GoldenTurtle:

Ich persönlich gehe davon aus, dass das Zünglein an der Waage, wie schnell oder stark die Entwicklung in weit entfernten Orten voranging, angesehene, einflussreiche Personen waren, die mit dem Teetrinken anfingen

Das passt gut zu meinem Eindruck, dass in den Teeregionen eine eher einfache Teekultur herrschte und eher in den entfernten Orten eine hoch-kultivierte Teekultur durch Eliten ("einflussreiche Personen") entstand. So gesehen hätte der Teehandel nicht dazu geführt, Tee in entfernteren Regionen Chinas zu einem Massenprogramm werden zu lassen, sondern eher zu einem elitären Getränk. Dementsprechen kam der Teegenuß in den letzten Jahrzehnten dort  erst mit dem Wohlstand auch bei anderen Bevölkerungsschichten an und war somit ein Zeichen bzw. Beweis ihres "Aufstiegs".

Ich hatte dazu heute ein Gespräch mit meiner Teeverkäuferin des Vertrauens, die auch anmerkte, dass es wohl eine Kluft gäbe zwischen der einfachen Teekultur (Granpa-Style) in der "ärmeren" Bevölkerung der Herkunftsregionen und der gepflogeren Teekultur in den Großstädten (Gongfu-Cha). Anders gesagt: Eine Teekultur des Mittelstands hat sich wohl nicht entwickeln können, u.a. wegen der Kulturrevolution,  bzw. ist erst dabei sich zu entwicklen. Bei uns wurde genussvolles Kaffetrinken oder Käsekonsum auch erst mit dem Aufkommen des Mittelstandes nach dem Weltkriegen zum Massenprogramm - und natürlich sehr unterschiedlich abhängig von der kulinarischen Kultur der Region (das sage ich als in Berlin lebender Österreicher, der mit Taschen voller Käse aus Ö nach Berlin zurückkehrt, da die Qualität des Standard-Käse im Supermarkt hier nicht vergleichbar ist mit jener in Ö).

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Am 26.2.2022 um 11:42 schrieb blickwinkel:

das sage ich als in Berlin lebender Österreicher, der mit Taschen voller Käse aus Ö nach Berlin zurückkehrt, da die Qualität des Standard-Käse im Supermarkt hier nicht vergleichbar ist mit jener in Ö

Das kriegt auf jeden Fall einmal einen TTN-Vermerk. Ich kann mir die Schlagzeile schon gut vorstellen: 
"Berlin außer sich - österreichische Käseschmuggler tarnten sich als Teeliebhaber"

PS: Was wäre für dich denn ein konkretes Beispiel für so einen hervorragenden Käse aus deiner Heimat, der es wert ist geschmuggelt zu werden?

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vor 1 Stunde schrieb Lateralus:

Erzherzog Johan Käse vom Discounter Hofer

Den Käse führt Aldi auch in der Schweiz ... alsoooooo es geht, besonders finde ich den persönlich nicht.
Der ist jetzt weder besonders würzig, noch besonders irgendwas - man könnte höchstens sagen gut ausgewogen, vielleicht aber für Einsteiger, die keinen wirklich aromatischen oder rezenten Käse mögen möglicherweise das Richtige! 😋
Das erinnert mich an einen alten Freund - für den war stets derjenige Käse am besten, welcher am wenigsten nach Käse schmeckte - Gouda war bei ihm natürlich hoch im Kurs!
Muss aber auch sagen, dass meine Vorfahren väterlicherseits aus einem Alpen-Dorf stammen, wo es eine alte Käserei-Tradition gibt ... meine Grossmutter hat früher stets ganze Laibe für knapp ein Jahr geaged ... ich führe die Tradition nun mit Tee fort, aber noch wesentlich ausdauernder! Es gibt in dem Dorf sogar eine alte Käser-Saga, aber die ist theologisch nicht ganz koscher. 😅

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Also ich sag mal: kein Käse-offtopic ohne mich. Mit Käse ist es wie bei Wein (und angeblich auch beim Tee): er schmeckt am besten da, wo er produziert wird und so ist bei meinen Urlaubsreisen auch immer die Frage, ob lokal auch ein gescheiter Käse produziert wird, ein nicht unerhebliches Auswahlkriterium für den Zielort gewesen. Wobei jetzt in Österreich in Tirol schon gutes Zeug produziert wird, auch wenn ich mich persönlich käsemäßig eher Richtung Frankreich und Italien orientiere. Und was man dann vor Ort intensiver kennengelernt hat, genießt man auch gerne mal zu Hause zur Stimulation des Gedächtnisses, wozu sich olfaktorische Reize bekanntlich besonders eignen (Prousts Madeleines sind da freilich etwas für Weicheier). Wobei natürlich die lokalen Heimat-Spezialitäten (in meiner Ecke 'Handkäs mit Musik' und Spundekäs) einen gewissen emotionalen Mehrwert haben, der im Exil schon mal schmerzlich vermisst werden kann.

Ansonsten hat endlich einer der Lebensmittelgroßhändler im Nachbarstädtchen (6.500 Einwohner) als Lieferanten den Affineur Hennart engagiert - vorher war für den Käseeinkauf schon  eine längere Anfahrt fällig ... es sind die kleinen Dinge, die einen gelegentlich mit dem Kapitalismus versöhnen.

 

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vor einer Stunde schrieb SoGen:

 ... es sind die kleinen Dinge, die einen gelegentlich mit dem Kapitalismus versöhnen.

 

😄 Das hast Du schön gesagt. 😘

vor 36 Minuten schrieb GoldenTurtle:

Danke für den schönen Beitrag und das war ein gutes, ergänzendes Stichwort zum Thema - hier ein umfangreicher Beitrag dazu:

https://www.falstaff.ch/nd/affineure-die-kaese-fluesterer-1/

Danke für diesen spannenden Link!

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