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Welchen Tee trinkt ihr heute?


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2022 Winter Muzha Tie Guan Yin

ein Wettbewerbstee, der sogar irgendeinen Preis bekommen hat. Dies ist aber eher Zweitrangig, denn Wettbewerbe und somit Sieger gibt es viele. Oft werden einfach irgendwelche Tees eingereicht, allein um eine Teilnahmeurkunde zu erhalten. 

Was diesen Tee interessant macht ist, dass ich von der gleichen Farmerin auch den regulären Tee habe und sich somit die Auswirkungen einer auf die Wettbewerbsregeln ausgelegten Produktion sehr gut nachvollziehen lassen.

Bewertet wird Klassischerweise nach Aussehen und Geschmack, ernsthafte Wettbewerbstees unterscheiden sich bereits optisch vom Standard. So werden die Stiele komplett entfernt und die Kugeln auf möglichst gleichmäßige, relativ kleine Größen gerollt.

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Es werden die besten Chargen der Ernte ausgewählt und separat auf das gewünschte Level geröstet. Dies liegt in diesem Fall unter dem regulären Tee. Den Tee gibt es heute im Gaiwan, inklusive Schwebteilchen im Cha Hai.

Der Tee hat meiner Meinung nach seinen Preis zurecht gewonnen, da er die Sortentypischen Eigenschaften von Tie Guan Yin hervorragend herausbringt.

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Vollfruchtig und dennoch frisch im Aroma, dazu der Geruch frisch gebackener Vanillekipferln. Eine leicht vegetative Bitterkeit mit Leder, Tabakblättern und reifer Kaki, wieder mit Vanilleanklängen im Geschmack. Das Mundgefühl ist voll, wie bei einer Fleischsuppe. Der Nachgeschmack bleibt auf der tanninisch frischen Seite mit nur zurückhaltender Süße.

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In Bezug auf Wandlungsfähigkeit und "Terroir" hat der Tee wenig zu bieten. Dies war wohl auch nicht das Ziel der Produktion, sondern den Sortencharakter möglichst stabil über viele Aufgüsse zu halten. Und das macht dieser Tee sehr gut.

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2022 Muzha Tie Guan Yin

in Ergänzung zum gestrigen Tee gab es heute Mittag den regulären Tee, traditionell hergestellt.

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Im Vergleich deutlich stärkerer Einflüsse der Röstung, im Aroma zusätzlich Trockenfrüchte, frisch gebackenes Brot und Tannennadeln, deutlich trockener und weniger fruchtig.

Mehr Körper und Intensität, dafür weniger weich und elegant. Deutlicher betonte Tannine und herbe Holztöne, ansonsten geschmacklich ähnlich.

Im Abgang trockener und adstringierend.

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2020 Jingmai Gushu

Im Rahmen einer gemeinsamen Bestellung eines noch zu besprechenden Tees haben Tee-Freunde und ich auch diesen Tee bestellt und aufgeteilt: all zu viel kann ich leider nicht zu sagen, da der Produzent lediglich unter dem Pseudonym "Jeep" gehandelt wird, was natürlich völlig nutzlos ist, aber so viel: er hat verschiedene Stufen/Klassen in denen er Tees produziert und dieser stammt aus der höchsten, in der sich sonst die großen Namen zu unverschämten Preisen befinden - was doch sehr überraschend ist, da Jingmai nicht (mehr) für eine besonders hohe Qualität bekannt ist. Das früher evtl. einmal anders, als in Jingmai noch Tribut-Tee produziert wurde (also wie z.B. in Mansong) aber spätestens nachdem der Kapitalismus die Republik übernommen hatte, war Jingmai eine der Regionen, in denen besonders stark auf Produktivität gebaut wurde und entsprechend ging die Qualität in den Keller. Scheinbar gibt es aber noch ein paar wenige Gebiete, in denen die noch vorhandenen alten Bäume gut behandelt werden - was aber auch seinen Preis hat: der Tee liegt zwar DEUTLICH unter dem Preis des nächst teureren der Top-Klasse von Jeep (weshalb es auch kein weiteres Review aus dieser Klasse geben wird, da die weiteren Preise schlicht unmoralisch sind) aber mit ~1,40€/g ist er für einen Jingmai absolut exorbitant teuer, wenn man bedenkt dass die teuerste FL-Produktion (bei denen sich in den letzten Jahren die Preise auch schon vervielfacht haben) unter 0,60€/g liegt.

Aber nun zum Tee: das trockene Blatt ist recht grün (wenn auch nicht so grün wie manche anderen aktuelle Produktionen) und erinnert mich daher an die großartigen 2019er prSK-Produktionen, wobei die Pressung im Vergleich zu den auf den Westen ausgerichteten Produktionen etwas fester zu sein scheint. Das Aroma vom nassen Blatt ist zwar schön und süß, soweit könnte es aber genau so gut ein typischer FL Jingmai sein - bleibt also der erste Aufguss abzuwarten. Dieser zeigt sich schön weich und goldgelb mit seidiger Textur - es wird sofort klar, mit welcher Sorgfalt der Tee produziert wurde, was mich deutlich an die Produktionen von Yu (zumindest pre-2021) erinnert. Geschmacklich wird auch sofort klar, dass es sich um Jingmai handelt: es dominiert eine leichtgewichtige Süße, die durch dezent grünlich-bittere Noten sehr frisch wirkt, obwohl der Tee inzwischen ja auch schon bald 3 Jahre hinter sich hat, und die auch für ein lang anhaltendes Hui Gan wie von Zuckerwatte sorgt. Durch den typischen Jingmai-Charakter ist der Tee auch absolut zugänglich, regelrecht "offenherzig" und abgesehen von der offenkundig besseren Produktion nicht groß anders als einer der Top-FL-Sheng - diese schlagen ja auch alle in die selbe Kerbe von süß, freundlich, aromatisch. Und auch wenn die Süße wie gesagt nicht einfach nur eindimensional süß ist, bleibt so die Komplexität doch etwas beschränkt (eben primär dadurch, dass die Süße noch durch bittere und andere Facetten ergänzt wird). Wo mich der Tee allerdings sehr überrascht hat sind die beiden für mich am wichtigsten Metriken Qi und Tiefe: trotz aller Zugänglichkeit und Freundlichkeit lässt der Tee doch tiefer blicken, als ich es von einem Jingmai gewohnt bin und vor allem das Qi ist etwas, was ich so nicht von Jingmai egal von welchem Produzenten und zu welchem Preis kenne! Sehr deutlich ausgeprägt von einem leichtgewichtigen, "wolkigen" Charakter ist es zwar völlig anders als man es z.B. von einem hochwertigen Yiwu kennt, aber sehr angenehm - regelrecht "beschwingend", was gut zum generell leichtgewichtigen Charakter des Tees passt (der auch zu großen Teilen von der leichten, aber dennoch vorhandenen Textur herrührt - sowas muss man auch erstmal hinbekommen). Wirklich erstaunlich, ich hätte nicht gedacht, dass es in Jingmai solch einen Tee gibt - und in Anbetracht des zuvor erwähnten Preisunterschieds gegenüber anderen Regionen bin ich da wohl auch nicht alleine. Aber: wie immer hab ich natürlich auch hier etwas zu nörgeln - trotz aller Lobeshymnen auf die Qualität ist es unverkennbar ein Jingmai und Attribute wie "leichtgewichtig", "freundlich" und "zugänglich" sind eigentlich keine, die ich in einem Sheng suche, daher gibt es einen kleinen Abzug in der (wie immer subjektiven) Gesamtbewertung. Eine spannende Erfahrung ist der Tee aber allemal und ich werde den Rest mit Genuss trinken, auch wenn ich mir sicher nichts mehr davon zulegen werde.

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@Manfred @miig @Anima_Templi

Flashbrews sind, so zumindest in englischsprachigen Foren gelesen (sonst wäre ich vermutlich nicht auf die Idee gekommen das so zu nennen), richtig kurze Aufgüsse. Wasser rein, Deckel drauf, abgießen. :) 

Ich finde das Wort recht praktisch da:


- klingt cool 😎

- beschreibt das was es aussagt -> schnell wie ein Blitz (flash) aufgebrüht (brew)

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zum Wochenausklang Yancha: Tie Luo Han

Dieser Tee ist ban yan, dafür bin ich mir über die Echtheit relativ sicher. Authentischer Zhen Yan liegt "etwas" über meinem finanziellen Limit.

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Die Geschmacksbeschreibung von hochwertigem Yancha ist nicht ganz trivial. In der klassischen Terminologie fällt es leichter, die sich hinter den Begriffen verbergenden Geschmacksrichtungen zu erklären fällt mir aber schwer. Fairerweise würde ich aber auch daran scheitern, "Fruchtig" oder "bitter" zu beschreiben.

16040.thumb.jpg.a2d3f8a008116e14d8107aab81ca8107.jpgMein Tee ist zwischen chun xiang und nong xiang produziert, mit Aroma von Dörrobst und Maronen. Bereits ab dem ersten Aufguss mit deutlich spürbarem, beruhigenden Qi, mit für den Röstgrad erstaunlicher reifer Fruchtigkeit, Farn und Waldpilzen. Sowohl Cong Wei als auch Yan Yun sind deutlich. Der Nachgeschmack ist lang, mineralisch trocken und wärmend.

Nach 6 Aufgüssen beginnt der Tee geschmacklich abzubauen, es bleiben Süße und Mineralität. Nachgeschmack und Wirkung halten noch für einige, länger gezogene Aufgüsse unverändert an.

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Bearbeitet von JanS
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vor 17 Stunden schrieb Anima_Templi:

.... dabei trotzdem bodenständig, ehrlich und gutmütig. 

 

Das sind Atribute die ich auf Personen anwenden würde, bei Tee fehlt mir da irgendwie die Idee dahinter.
Kannst du mir das bitte, aus aufrichtigem Interesse, näher erklären? Vorallem das "ehrlich" verwirrt mich, was aber nicht bedeuten soll dass mir die anderen beiden klar sind.

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@Lateralus

Mit unergründlich meine ich, dass er jedesmal neue Facetten zeigt, mitunter sogar munter wechselt.

Mit bodenständig und ehrlich meine ich, dass er die Grundidee, hinter der Produktion, total transparent rüber bringt. Es ist keine fancy Wettbewerbsproduktion, sondern ein privat, aus Spaß an der Freude produzierter Tee. Die Leichtigkeit dieser Produktion - primär ohne monetäre Absicht (weil es auch viel zu wenig davon gibt) - legt er offen dar. Es wird nichts kaschiert, oder unterschlagen.

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2008 Mansong

Ich habe kürzlich ein paar ältere Samples von Peter bekommen und er hatte die Idee, ein spezielles Sample-Set zusammenzustellen, das vom Anfang bis zur jüngeren Vergangenheit reicht, damit auch diejenigen eine Chance haben, die älteren, inzwischen ausverkauften Tees zu probieren, was ich für eine sehr schöne und lohnenswerte Idee halte! Das hat natürlich seinen Preis: einerseits muss die private Schatzkammer geplündert werden (wie gesagt, die meisten Tees sind inzwischen ausverkauft) und andererseits entsprechende Samples zusammengestellt werden (was alleine schon für einen höheren Grammpreis sorgt, da die meisten Händler heutzutage bei Samples deutlich aufschlagen) - wer sich davon nicht abschrecken lässt kann dafür eine schöne prSK-Zeitreise erleben.

Beim ersten Tee, den ich aus den Samples ausgewählt habe, handelt es sich jedoch um einen, der es nicht in das Sample-Set geschafft hat: ein Mansong von vermutlich 2008. Die ersten Sheng unter Peters eigener Marke "pu-erh.sk" hat er 2010 produziert, nachdem er in 2009 viele Kontakte knüpfen konnte - da das inzwischen schon ein paar Jahre her ist, gibt es bei dem Tee das eine oder andere Fragezeichen aber das ist nicht schlimm 😉

Interessant bei dem Tee ist vor allem, dass es sich um den ältesten Mansong handelt, den ich bislang probieren durfte - und um ehrlich zu sein wäre ich bei einer Blindverkostung auch niemals darauf gekommen, dass es sich um einen Yibang handelt! Blindverkostungen sind ein großer Spaß, wie ich kürzlich wieder mit einem Tee-Freund aus Frankreich feststellen durfte: man geht zwangsweise völlig unvoreingenommen an einen Tee heran, da sämtliche Informationen fehlen (denn Hand aufs Herz: auch wenn man nur Region und Jahrgang weiß, transportiert das schon so viele Informationen, die wiederum mit entsprechenden Erfahrungen verknüpft sind, dass man im Grund niemals unvoreingenommen ist, auch wenn man es sich einredet) und muss sich voll und ganz darauf verlassen, was einem der Tee erzählt. Da macht es einem Mansong natürlich auch nicht gerade leicht, da es (auf Basis meiner eher mageren Erfahrung mit diesem Dorf) eher untypisch für den stereotypischen Yibang-Charakter ist, wie es z.B. die letzten beiden Jahrgänge des Mansongs von Peter bewiesen haben (der 2021er sogar noch extremer als der 2020er). Dazu kommt dann die Transformation durch die Reifung - in diesem Fall EU-Storage in der Slowakei - und man schwimmt immer mehr. Auf Grund des Altersunterschieds ist ein Vergleich zu den aktuellen Produktionen von Peter aber schwer - evtl. sinnvoller ist ein Vergleich mit dem 2009er Yibang oder Jim's 2010er Yibang - aber da ich von beiden nur ein Sample hatte und das mittlerweile auch schon über 2 Jahre her ist, bewege ich mich hier auf eher dünnem Eis. Klar ist aber: wir bewegen uns optisch zwischen den beiden genannten - der 2009er Yibang sah "goldener" aus (hatte allerdings auch Taiwan-Storage!) und der 2010er Yibang sah (damals) grüner aus - aber es gibt durchaus Parallelen zu sowohl diesen beiden als auch zu den jüngeren Mansongs. Denn wie schon erwähnt wirkt der Tee wenig "bunt" oder fruchtig im Charakter sondern wie die beiden jüngeren Mansongs primär herb und bitter, aber natürlich dabei durch das Alter ganz anders: keine Schlehen sondern eher Walnuss(haut), im Abgang eine leicht zimtige Süße, was wiederum an den 2010er erinnert. Eher komplex und vielschichtig auf der Geschmacksebene hat der Tee doch auch eine gewisse Schärfe - zumindest im Anklang, wie wenn jemand mit einem scharfen Aftershave vor kurzem im Raum war - die mich den Tee potentiell eher als etwas jünger hätten einschätzen lassen, aber da es sich um EU-Storage handelt lässt sich das natürlich schwer vergleichen. Fakt ist jedoch: auch in Europa reift Tee problemlos und gerade für Single Origin Sheng und insbesondere für hochwertige, moderne Produktionen halte ich das für deutlich besser geeignet als eine zu feuchte Lagerung. Das Qi des Tees ist ordentlich, fokusiert auf die Mitte der Stirn aber dabei nicht zu stark und was ich besonders erwähnenswert finde ist die Textur: sie ist einerseits sehr voll und ausgeprägt aber andererseits ohne schwer oder besonders gewichtig zu sein, weshalb mich der Tee etwas an das "Leichtgewichtige" erinnert, was ich letzte Woche bei dem 2020er Jingmai Gushu beschrieben habe (nur natürlich anders weil älter). Durchaus ein guter Tee, aber der Charakter trifft meinen persönlichen Geschmack nicht 100%tig - aber sicherlich auch ein Tee, mit dem man sich erst vertraut machen muss: beim 2021er Mansong habe ich ja zunächst auch etwas lamentiert aber mit jedem mal, den ich ihn getrunken habe, hat er mir besser gefallen...

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Bearbeitet von doumer
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Mein Sample-Vorrat ist aufgebraucht. Dass ich das noch erleben darf! Über einen Zeitraum von gut drei Jahren hatte ich ausnahmslos immer einen Vorrat an noch nicht probierten Tees zuhause. Immer - bis auf einige wenige Fälle, in denen ein Tee die digitale Tinte nicht wert war - habe ich hier etwas zu meinen Eindrücken geschrieben, wenn ich einen Tee neu verkostet habe. Mit diesem Beitrag werde ich also gewissermaßen den ersten großen Abschnitt meiner Tee-Reise beschließen, in welchem ich hunderte Tees in Quer- Vertikal- und Diagonalvergleichen probiert habe. Mein Antrieb war dabei das Kennenlernen von Tee in all seinen Facetten, den großen Kategorien und den obskursten Nischen. Mein Fokus lag auf dem sensorischen Erleben und Beschreiben, auf dem Assoziieren und dem Herstellen von Verbindungen.

Diese Routine des Verkostens und Beschreibens hat mir viel Vergnügen bereitet . Sie hat erheblich zu meiner Wertschätzung von Tee beigetragen und noch viel mehr zu meiner Wertschätzung des Privilegs, Zeit (und Geld, aber vor allem Zeit) für die ausgiebige Beschäftigung mit diesem wunderbaren Getränk zu haben. Sie hat mir einen kostbaren Zugang eröffnet zu Ebenen der Konzentration, Geduld und Introspektion, die mir im Alltag sonst versperrt blieben.
Nun ist jedoch der Moment gekommen, in dem ich beginnen möchte, Tee wieder ein Stück mehr als legeres Genussmittel zu behandeln. In letzter Zeit krame ich gerne einfach in meinem Vorrat (streng genommen ist mein Sample-Vorrat nicht leer, nur sind eben keine "neuen" Samples mehr dabei; außerdem habe ich natürlich auch ein paar Bings, die sich trotz widriger Lagerungsbedingungen nicht allzu schlecht entwickeln) und ziehe etwas Bekanntes hervor, das ich dann gerne auch mal nebenbei im Home Office aufgieße.

Für den teetalk bedeutet das, dass ich hier zunächst einmal weniger posten werde. Denn ein Nebeneffekt dieses nebenher-Genießens ist, dass ich weniger zu dem jeweiligen Tee zu sagen habe, und weniger das Gefühl habe, überhaupt etwas sagen zu müssen. Das fühlt sich gerade irgendwie ganz schön an. Vielleicht juckt es mich doch in den Fingern, und ich lege mir dieses Jahr einen Sampler an frischen chinesischen Grüntees zu, oder im Herbst etwas Gyokuro, oder vielleicht auch mal den ein oder anderen Matcha. Vielleicht kaufe ich dieses Jahr aber auch gar nichts neues, Vorräte dafür hätte ich genug.

 

Nun aber @topic mit einer Überdosis Shui Xian Yancha. Fünf sind's an der Zahl. Der Beitrag ist jetzt schon lang. Aber noch längst nicht zu Ende B)
 

Wuyi Origin Shui Xian 2020
Das trockene Blatt riecht floral mit einer guten Portion Kloreiniger, oder besser gesagt Klo und Reiniger, das heißt stechend und ein bisschen nach Urin. Bei der zweiten Session - nachdem das Doypack einige Wochen offen war - ist das Ganze zwar schon deutlich erträglicher, aber hier ist eindeutig etwas bei der Röstung schiefgelaufen.
Im warmen Kännchen ist der Geruch dankbarerweise weniger stechend, trotzdem stellt sich die Frage, warum ich diesen Stinker eigentlich in das Nixing Kännchen für milde Oolongs befördert habe und nicht in das Jianshui Kännchen für... nun ja... Stinker. Nach dem Auslüften wird der Geruch aber auch hier milder und fruchtig-süßer.
Im nassen Blatt kommen die floralen Noten wieder stärker durch, die mich jedoch auch nicht unbedingt glücklich machen. Mit den späteren Aufgüssen wird der Geruch etwas entspannter und in der zweiten Session geht es sogar deutlich mehr in Richtung exotischer Fruchtnoten (v.a. Kakaofrucht)... vielleicht ist ja doch noch nicht alle Hoffnung verloren.
Das Aroma des Aufgusses ist schon in der ersten Session deutlich besser. Die Röstung bringt jetzt Noten von Datteln, Feigenbaum, Schokolade und Krapfen hervor.
Am Gaumen hat der Tee zunächst einen scheinbar eher dünnen Körper für einen Yancha, dafür ist er schön weich im Mundraum. Er ist etwas säuerlich, was in Verbindung mit den dezenten Fruchtaromen entfernt an den Geschmack von Apfelsaft erinnert. Die säuerliche Note wird ergänzt durch eine merkliche Mineralität, was besonders den vorderen Mundraum und das Zahnfleisch etwas zu stark beschäftigt. Die Röstung war wohl einfach zu heftig. Nach dem Auslüften wird aber auch dieser Aspekt zumindest ein bisschen besser und die Mineralität wirkt besser integriert. Außerdem wirkt der Tee tatsächlich körperreicher als in der ersten Session
Im Abgang ist das Zahnfleisch nach wie vor überfordert mit Säure und Mineralität und auch im Rachen wird es jetzt etwas kratzig, aber die Aromatik ist ganz gut: florale und schokoladige Noten ebben auf und ab, ohne dass jeweils eine Note die klare Überhand behält. Ich hätte mir mehr Dominanz der Schokolade gewünscht, aber naja, ich hätte mir generell einen anderen Tee gewünscht.

Da habe ich Wuyi Origin in meinem vorherigen Beitrag noch so hochgelobt und dann solch ein Ausrutscher...
Wenn man mal die Kirche im Dorf lässt, ist der wohl durchaus okay. Vermutlich wird er von einem weiteren Auslüften profitieren. Trotzdem: im Vergleich zu dem hohen Niveau, welches WO und Lazy Cat sonst an den Tag legen, ist das durchaus ein Ausreißer.


Wuyi Origin Gao Cong Shui Xian 2020

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Im trockenen Zustand ist der Geruch dem des anderen WO Shui Xians recht ähnlich, also ebenfalls etwas unangenehm.
Schon im vorgewärmten Kännchen wird es jedoch entspannter. Der Funk geht jetzt in eine erdigere Richtung, Schokoladennoten kommen auf.
Im nassen Blatt konkretisieren sich die erdigen und schokoladigen Noten nebst eindeutig kräutrigen Aromen... so langsam wird's echt interessant!
Der Aufguss hat eine sehr dunkle Farbe und Aromen von Krapfen, Malz und Vegetation in der mediterranen Sonne.
Am Gaumen überzeugt der Tee mit einem sehr vollen Körper und butterweicher Textur. Aromatisch dominieren Malz, Moschus und Erde, sowie nach hinten raus eine klare Note von Nori-Blättern. Eine latente Bitterkeit begleitet den Geschmack und lässt den Tee im Zusammenspiel mit den genannten Noten ziemlich ernst wirken.
Erst im Abgang setzt die Mineralität so richtig ein, deren Trockenheit an dieser Stelle aber super passt und eine Menge Spaß und Lust auf den nächsten Schluck macht. Durch sie ist der Abgang laaang. Das Huigan ist überraschend fruchtig und süß.

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Wow, das ist mal  etwas anderes! Ein wirklich herausfordernder Tee, der mich aber schnell in seinen Bann gezogen hat und ein ganz besonderes Aromenspektrum bietet. Wenn man über die paar "Fehlnoten" und Startschwierigkeiten hinweg sehen kann, wird man am Gaumen mit einem Tee von großer Qualität belohnt.


Lazy Cat Tea Gao Cong Shui Xian 2020
Im trockenen Blatt fruchtige Aromen (Maracuja, Apfel), sowie Magnolie und Kakao.
Im warmen Kännchen weiterhin duftig mit Magnolie, Apfel und Maracuja, sowie einem klitzekleinem bisschen Funk durch die Röstung. Im nassen Blatt werden die blumigen Noten stärker betont.
Der Aufguss riecht zwar nicht besonders expressiv, aber süß mit Krapfen und floralen Noten. Am Gaumen ist der Tee dann jedoch außerordentlich aromatisch mit Magnolie und milder Frucht (v.a. Apfel), sowie einer deutlich zu vernehmenden, angenehmen Gerstengras-Note. Körper und Textur sind gut und werden von einer leichten Bitterkeit und Mineralität begleitet. Der Tee ist ein ganz kleines bisschen kratzig am Rachen, ich habe dahingehend allerdings auch eine ziemlich niedrige Wahrnehmungsschwelle und möchte es daher nicht überinterpretieren.
Der Abgang liefert ein Butter-Aroma, fruchtige Noten (Maracuja), Krapfen und Magnolie. Das yan yun ist zwar definitiv vorhanden, aber kommt irgendwie etwas klebrig rüber, anstatt einfach trocken und sauber... zu diesem Eindruck trägt der insgesamt sehr süße Charakter mit Sicherheit bei. Das Huigan ist dafür erfreulich frisch

Nett, aber kein Highlight. Irgendwie nicht tiefgründig genug für einen richtig guten Yancha.


Lazy Cat Tea Lion Mount Shui Xian 2020
Bananenbrot vom feinsten, Himbeeren und Schokolade im trockenen Blatt. Mjam!
Nach dem Schütteln der Blätter im vorgewärmten Kännchen werden die fruchtigen Noten (Himbeeren und Traube) betont.
Im nassen Blatt geht es noch stärker in Richtung Traube und generell in Richtung der helleren Fruchtnoten. Mango ist auch dabei, ein paar Fermentationsnoten ebenfalls. Später kommen Aromen von Tropenholz und eine warme Nussigkeit zum Vorschein.
Im Aufguss zeigen sich Dattel, Holz und Pflaumenkompott... der scheint recht stark oxidiert zu sein.
Am Gaumen ist der Tee mega weich und vollmundig, sowie latent bitter. In aromatischer Hinsicht dominieren die holzigen Noten, aber auch das Bananenbrot und die Schokolade kommen nochmal durch.
Der Abgang ist dezent bitter und liefert eine Mineralität, deren Intensität Sekunde für Sekunde nach dem Schlucken steigt. Man fängt regelrecht an zu sabbern. Gleichzeitig stellen milde Gebäck-Noten eine erstaunliche Balance her, es schweben sogar ein paar süß-blumige Noten vorbei. Der Ausklang wird dann aber so richtig trocken und verleitet unweigerlich zum nächsten Schluck. Das ist, ich wage zu behaupten, yan yun par excellence.

Wow, das ist ein herausragender Tee! Allerdings nicht sooo ausdauernd, der scheint wirklich mehr über die Oxidation zu kommen.


Cha Dao Lao Cong Shui Xian 2020 (Sample von @Anima_Templi)
Das trockene Blatt riecht zurückhaltend nach Datteln und entfernt blumig. Im warmen Kännchen wird der Duft plötzlich außerordentlich erdig für einen yancha.
Auch im nassen Blatt ist der Duft weiterhin sehr erdig und erinnert fast schon an einen Shou. Der Tee wirkt jetzt aber auch wieder etwas süßer. Ist der möglicherweise ungewollt fermentiert?
Der Aufguss riecht dezent vanillig... ehm, ist das wirklich kein Shou?
Am Gaumen ist der Tee schön weich und rund. Er hat keinen außerordentlich schweren Körper, ist aber auch nicht dünn. Auf der aromatischen Ebene zeigen sich Vanille und etwas Aprikose.
Der Abgang ist sauber und kurz, trocken, vielleicht sogar mineralisch (was sich dann mit dem Begriff "yan yun" beschreiben ließe). Es dominiert das holzige Vanille-Aroma.

Der war nicht schlecht, aber irgendwie so gar nicht das, womit ich gerechnet hatte. Wenn Anima da nicht "Lao Cong Shui Xian" drauf geschrieben hätte... ich würde ihn wohl für einen Shou halten. @Anima_Templi hast du noch etwas von dem Tee da, oder ihn in letzter Zeit nochmal probiert? Mich würde interessieren, wie du ihn findest. Ich bin in meinen Yancha-Verkostungen ja momentan stark durch das Sortiment von Wuyi Origin und Lazy Cat geprimed. Vielleicht weicht der Tee daher subjektiv stärker von einem "üblichen" Yancha ab, als es objektiv der Fall ist.

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vor 12 Stunden schrieb Shibo:

... 

Nun ist jedoch der Moment gekommen, in dem ich beginnen möchte, Tee wieder ein Stück mehr als legeres Genussmittel zu behandeln. In letzter Zeit krame ich gerne einfach in meinem Vorrat (streng genommen ist mein Sample-Vorrat nicht leer, nur sind eben keine "neuen" Samples mehr dabei; außerdem habe ich natürlich auch ein paar Bings, die sich trotz widriger Lagerungsbedingungen nicht allzu schlecht entwickeln) und ziehe etwas Bekanntes hervor, das ich dann gerne auch mal nebenbei im Home Office aufgieße.

Für den teetalk bedeutet das, dass ich hier zunächst einmal weniger posten werde. Denn ein Nebeneffekt dieses nebenher-Genießens ist, dass ich weniger zu dem jeweiligen Tee zu sagen habe, und weniger das Gefühl habe, überhaupt etwas sagen zu müssen. Das fühlt sich gerade irgendwie ganz schön an.

....

Sehr schöner Testbericht @Shibo

Deine Erfahrung beim Teetrinken den Tee nicht mehr analysieren zu müssen (nach was schmeckt er, gut gewockt, Lagerung), sondern den Schnabel zu halten, nicht nachdenken zu müssen, sondern nur "einfach" Tee zu trinken.

Wasser kochen, Tee aufgießen, Tee trinken - eine Erfahrung die die meisten nicht machen, aber umso schöner, wenn man das Glück hat dahin zu kommen.

P.S. Tee trinken ist auch was anderes als Tee zu verkosten, dabei muß man analysieren, in Beziehung setzen, mit anderen  vergleichen, Fehler aufspüren, ein Bewertungssystem entwickeln usw.

@doumer macht das in seinem Blog https://puerh.blog/

Meine Bewunderung und mein Dank sind ihm für diese Arbeit gewiss!!

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