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Tee und Erleuchtung


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Da gibt es das große Getue um den Geschmack. Aber was heißt schon: Geschmack?
Es heißt, sich aus einer Vielzahl von Möglichkeiten auf ein subjektives Spezifika zu kaprizieren und sämtliche Alternativen zu negieren.
Der Gipfel des Geschmacks ist die Liebe.
Sie glaubt, unter Milliarden von Männern und Frauen - die man gar nicht kennt - diesen/diese eine/einen als höchstes Geschmackserlebnis anjubeln zu müssen und alle Restangebote zur zweiten und dritten Wahl zu degradieren.
Geschmack, auf welcher Ebene auch immer, ist im Grunde Engstirnigkeit, das berühmte Brett vorm Kopf, das man - in dummdreister Verkehrung - als erstrebenswertes Kulturgut verkauft; auch hierin offen pluralistisch der jeweiligen Geschmackszielgruppe angepasst, denn der Geschmäcker sind viele und der Markt bedient sie alle, ob mit oder ohne Geschmack. Hauptsache, das Ding verkauft sich.

Wenn man nun den Geschmack, das Schmecken genauer untersucht: Was passiert da?
Ganz einfach: Das Gehirn erhält einen Sinnesreiz und vergleicht diesen mit den gespeicherten Erinnerungen an frühere Reize. Das Neue, Frische, Unerhörte wird also eingeebnet, etikettiert und mit dem Alten und Toten verglichen; indem man Wahrnehmung versprachlicht, in die Enge von Wörtern treibt, sie auf Kennzahlen reduziert, Datenbanken darüber anlegt; allgemein: sie in den Würgegriff allerlei Kognitionen nimmt: So geht das Lebendige dahin.

Und kaum hat man diese unglaubliche Verarmung an Wirklichkeit vollzogen, beklagt man sich über die Schalheit des Lebens, seine Triste und Langeweile und stürzt sich sofort in das Hamsterrad der Reizerneuerung und plant beim Genuss des einen bereits den nächsten.
Dieses unendliche Erwerben, dieses Probieren, Bewerten, Begutachten, Bemeinen und Hinausposaunen, diese unermüdliche Betriebsamkeit des Geistes beklatschen wir wohlwollend, wo wir doch nur Krämer und Händler verwesender Gedanken sind und glauben, einem Lebendigen hinterher zu jagen, welches wir doch selber ständig vor uns her treiben.

Kein Wunder, dass die Leute verdep(p)ressieren; die sich dazu nicht einmal am eigenen, sondern ernstlich am Geschmack - Welchen Tee trinkst Du gerade? - der anderen orientieren.

Wenn es also ‚Erleuchtung‘ gibt - und traditionell lädt der Teegenuss dazu ein, in ihm mehr als bloße Hydration und Zellversorgung zu erblicken - wie ‚schmeckt‘ dann diese ‚Erleuchtung‘?

Seit Jahren, ach was, seit Jahrzehnten trinken wir Tee, feinste Gewächse aus feinsten Schalen in allerfeinster Verfeinerung: Und was ist passiert? Nichts.
‚Hier steh‘ ich nun, ich armer Tor, und bin so schlau als wie zuvor!’
Genau das ist ‚Erleuchtung‘:
Es geschieht nichts!
Dies ist das berühmte Nichts, auf das manche ihr Leben lang hinarbeiten, 
es immer vor Augen haben und doch nie erblicken.
Dies ist das echte Nicht, das sich der Korruption durch das Sein und Etwas so sehr entzieht,
dass es nur das ist, was es ist: nichts.

Es passiert nichts. Rein gar nichts.
Dies ist das berühmte Zen-Lachen.
Die Zeit knallt auf sich selbst zurück.
Da ist nichts! Das ist es!
Darauf eine Tasse Tee!


Die Mönche hatten Ito, 
dessen tiefes Schweigen bei der Tee-Meditation ihren Neid hervorrief, 
Zucker in den Tee gestreut. 
Scheel aus den Augenwinkeln starrten sie nun verhohlen
nach einem Augenzucken, einem Stirnrunzeln, einem Lippenrollen, einem Zungenplopp -
einer kleinsten Abweichung vom Ritual.
Aber Ito schien so tief zu meditieren und den Zucker vielleicht gar nicht herauszuschmecken?
Da erhöhten die Mönche den Zuckeranteil auf drei Löffelgaben.
Nun musste eine Reaktion kommen!
Ito aber, noch bevor er seine Schale an die Lippen angesetzt hatte,
reichte sie in erweiterter Zeremonie ehrerbietig und mit Huldigung an den Meister weiter.
Die Mönche gerieten in Angst und Schrecken und die Röte stieg ihnen zu Gesicht.
Nun würde der ehrwürdige Meister Opfer ihres Schabernacks werden.
Zuerst kostete der Meister nur, dann trank er die ganze Schale aus.
Dann sagte er: ‚Lecker.‘
Am nächsten Tag aber war der Zucker aus der Küche verschwunden.
Nie wurde über diesen Vorfall gesprochen.
Itos Schweigen hatte sich über das ganze Kloster gelegt.
So stark war es.

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Das große Getue um den Geschmack entsteht meinerseits, wenn man den Geschmack bewertet. Solange ich den Geschmack nur beobachte, kann ich etwas entdecken oder übersehen. Es ist mir egal, ob jemand sagt, dass es nach Orange oder Asphalt schmeckt.

Was anderes ist, wenn mein Körper unangenehm darauf reagiert, meinetwegen mit Magenreizung oder Britzeln auf der Zunge. Dann ist das nicht mein Tee oder er ist schlecht verarbeitet. Es gibt auch Warnsignale, die man nicht übersehen sollte.

Das große Getue entsteht, wenn man über den Geschmack nachweisen möchte, ob der Tee seinen geforderten Preis gerecht wird, ob mir x für y verkauft wird usw...

Aber wenn ich letztendlich an meinem Tisch sitze und Tee trinke, fällt das ab und ich beobachte, was mir mein Geschmack erzählt. Dann wird alles gut.:)

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