Macht Euch besser erstmal einen Tee - das wird jetzt lang. /emoticons/wink@2x.png 2x" width="20" height="20" data-src="/emoticons/default_wink.png">
Menghai Wild Arbor Ya Bing 1990
Quelle: TeaHouse.de im Pu-Erh Probenpaket
5g aufgegossen im 100ml Yixing Pu-Erh-Kännchen, heute mit Chahai und Sieb
Hier mein Setup, irgendwie bekomme ich das Bild nicht gedreht:
(das mickrige Pflänzchen ist eine Teepflanze - spätestens im Mai kommt sie wieder raus)
Leider ist neben den sehr schön intakten Blättern auch einiges an kleinkrümeligem Bruch drin. Weil das oft zu extremer Adstringenz führen kann, habe ich mal etwas sortiert:
Tockenes Blatt
Aussehen: Größere Blätter mit ein paar Stängeln, ohne erkennbare Tips. Gut aus dem Kuchen gelöst, ein kleiner Nugget, sonst Einzelblätter. Sehr gleichmäßiges Mittel- bis Dunkelbraun, stumpf. Bei sehr genauer Betrachtung ein paar glänzende helle Pünktchen (Mehlstaub winzig) - eher Kristalle als Schimmel. Traditionelle Lagerung?
Duft: fast etwas shu?! Leicht medizinisch. Aber angenehm, spannend.
Duft im vorgewärmten Kännchen: etwas nussig und … wie shu! Soll laut Händler ein sheng sein. Bin mal auf die Infusion am Ende gespannt.
Infusion nach Spülung:
Duft von shu (Waldboden), dazu wie in traditioneller chinesischer Apotheke und Antiquitätenladen. Weht da aus der Apotheke ein Hauch Campher rüber?
Die Blätter zeigen jetzt eine Ahnung grünlicher Farbe.
1. Aufguss
Farbe wie schwach gebrühter Assam. Viel mehr Braun als Orange.
Duft von trockenem Herbstlaub, alten Büchern und etwas Heilkräutern im Hintergrund (Campher?)
Geschmack: egal - Geschmack kommt später. erstmal das Erlebnis beschreiben, diesen Tee erstmals in den Mund zu bekommen: Wie eine Kindheitserinnerung, von der man vergessen hatte, dass sie jemals Bedeutung hatte. Als würde der Tee jede Erinnerungsschublade im Gedächtnis aufziehen und da sind die Kindheitserlebnisse wieder: auf Bäume klettern, mit einem Freund im Sommer über die Felder zu laufen und sich auszumalen abzuhauen. Abends im Pfandfinderlager in das feuchte Zelt kommen und sich auf den warmen Schlafsack freuen. Vielleicht weil der Geschmack etwas von Holz, warmer Erde und einem minimalen Hauch von Lagerfeuer hat. Dazu aber eine erfrischende Säure und Adstringenz - fast wie die Power der Jugend durch den Schleier des abgeklärten Alters betrachtet. In der abgekühlten Tasse dann eine Note von unreif gepflückten Haselnüssen.
Nachklang: die Bilder verblassen, aber zurück bleibt ein etwas schneller schlagendes Herz und - eingebettet in ruhige Entspanntheit - ein Plus an Energie.
2. Aufguss
Geschmacklich mehr Tiefe, aber auch ausgeprägtere Säure. Lagerungsfehler?
3. Aufguss
Säure schwächer. Hinten / Oben am Gaumen etwas kribbelnde Schärfe wie von Sichuan-Pfeffer. Erinnert daran, durch ein altes Herbarium zu stöbern.
4. Aufguss
Farbe goldiger - heller, trotz längerer Ziehzeit.
Geschmack? Nebensächlich, hier kommt Kraft!
So habe ich mir alten sheng vorgestellt!
5. Aufguss
keine Schärfe, keine Säure - was verbleibt? Der Charakter alter Bücher - als würde ich in alten Photoalben von vor 100 Jahren blättern.
Etwas abgekühlt schleicht sich noch ein bisschen Campher und trockenes Laub rein.
Weil der Tee so dünn wirkt, verwende ich für die kommenden Aufgüsse absolut kochend heißes Wasser, direkt aus dem Kocher:
6. Aufguss (direkt aus dem Wasserkocher, 2:30+)
Farbe immer mehr wie Darjeeling Second Flush
Dünn, aber irgendwie vertraut. Woher kenne ich das nur?
Was kann ich nur machen, dass der Tee intensiver wird? Ich hoffe auf Inspiration vom Alten Meister und spendiere ihm mal ein Tässchen:
7. Aufguss (direkt aus dem Wasserkocher, 6min+)
Zu lange gezogen (aus Versehen). Übermäßige Adstringenz. Ansonsten chinesische Heilkräuter.
Abgekühlt: süßlich mit mehr Campher
8. Aufguss (nur ca. 60ml, 3:30+)
Konzentrierter, aber unangenehm und trübe. Besser Utensilien nochmal aufheizen und Kanne wieder vollmachen!
9. Aufguss (3:30+)
Farbe blasser, aber wieder strahlend und klar.
10. Aufguss (sehr lange)
Blasser in Farbe und Geschmack, aber belebende Reizung im Rachenbereich. Ist es das, was in den Blogs “Throatiness” genannt wird?
12. Aufguss
Ok, das war es für diesen Tee. Leichte Restsüße und endlich im Nachgeschmack etwas Fruchtigkeit, aber viel zu dünn.
Endbetrachtung der Infusion
Definitiv kein shu - obwohl Duft und Anfangsgeschmack in diese Richtung gingen. Grünliche, mittelgroße Blätter, aber weitestgehend beschädigt. Dann fand ich das eine RIESENBLATT! So lang wie meine Handfläche, zäh und ledrig (vermutlich beim Pflücken schon alt).
Fazit
Leider etwas wässrig, aber spannend! Während mein 2000er Yiwu als erster älterer sheng so komplett anders war als erwartet, habe ich hier einen fast schon klischeehaften Tee. Interessante Aromen mit manchmal unerwarteten Wendungen. Und das Anfangserlebnis war irre. Hätte ich bloß mehr Blätter gehabt! Von den ursprünglich 5g musste ich mindestens 1g aussortieren (zu klein gebrochen) … dabei schreiben meine bloggenden Vorbilder doch immer, dass so alte Tees mit fast 10g/100ml bereitet werden sollten.
Übrigens habe ich zwischendrin Besuch bekommen - aber die Mädels wollten mir zum Glück nichts wegtrinken: