Mein Sample-Vorrat ist aufgebraucht. Dass ich das noch erleben darf! Über einen Zeitraum von gut drei Jahren hatte ich ausnahmslos immer einen Vorrat an noch nicht probierten Tees zuhause. Immer - bis auf einige wenige Fälle, in denen ein Tee die digitale Tinte nicht wert war - habe ich hier etwas zu meinen Eindrücken geschrieben, wenn ich einen Tee neu verkostet habe. Mit diesem Beitrag werde ich also gewissermaßen den ersten großen Abschnitt meiner Tee-Reise beschließen, in welchem ich hunderte Tees in Quer- Vertikal- und Diagonalvergleichen probiert habe. Mein Antrieb war dabei das Kennenlernen von Tee in all seinen Facetten, den großen Kategorien und den obskursten Nischen. Mein Fokus lag auf dem sensorischen Erleben und Beschreiben, auf dem Assoziieren und dem Herstellen von Verbindungen.
Diese Routine des Verkostens und Beschreibens hat mir viel Vergnügen bereitet . Sie hat erheblich zu meiner Wertschätzung von Tee beigetragen und noch viel mehr zu meiner Wertschätzung des Privilegs, Zeit (und Geld, aber vor allem Zeit) für die ausgiebige Beschäftigung mit diesem wunderbaren Getränk zu haben. Sie hat mir einen kostbaren Zugang eröffnet zu Ebenen der Konzentration, Geduld und Introspektion, die mir im Alltag sonst versperrt blieben. Nun ist jedoch der Moment gekommen, in dem ich beginnen möchte, Tee wieder ein Stück mehr als legeres Genussmittel zu behandeln. In letzter Zeit krame ich gerne einfach in meinem Vorrat (streng genommen ist mein Sample-Vorrat nicht leer, nur sind eben keine "neuen" Samples mehr dabei; außerdem habe ich natürlich auch ein paar Bings, die sich trotz widriger Lagerungsbedingungen nicht allzu schlecht entwickeln) und ziehe etwas Bekanntes hervor, das ich dann gerne auch mal nebenbei im Home Office aufgieße.
Für den teetalk bedeutet das, dass ich hier zunächst einmal weniger posten werde. Denn ein Nebeneffekt dieses nebenher-Genießens ist, dass ich weniger zu dem jeweiligen Tee zu sagen habe, und weniger das Gefühl habe, überhaupt etwas sagen zu müssen. Das fühlt sich gerade irgendwie ganz schön an. Vielleicht juckt es mich doch in den Fingern, und ich lege mir dieses Jahr einen Sampler an frischen chinesischen Grüntees zu, oder im Herbst etwas Gyokuro, oder vielleicht auch mal den ein oder anderen Matcha. Vielleicht kaufe ich dieses Jahr aber auch gar nichts neues, Vorräte dafür hätte ich genug.
Nun aber @topic mit einer Überdosis Shui Xian Yancha. Fünf sind's an der Zahl. Der Beitrag ist jetzt schon lang. Aber noch längst nicht zu Ende
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Wuyi Origin Shui Xian 2020 Das trockene Blatt riecht floral mit einer guten Portion Kloreiniger, oder besser gesagt Klo und Reiniger, das heißt stechend und ein bisschen nach Urin. Bei der zweiten Session - nachdem das Doypack einige Wochen offen war - ist das Ganze zwar schon deutlich erträglicher, aber hier ist eindeutig etwas bei der Röstung schiefgelaufen. Im warmen Kännchen ist der Geruch dankbarerweise weniger stechend, trotzdem stellt sich die Frage, warum ich diesen Stinker eigentlich in das Nixing Kännchen für milde Oolongs befördert habe und nicht in das Jianshui Kännchen für... nun ja... Stinker. Nach dem Auslüften wird der Geruch aber auch hier milder und fruchtig-süßer. Im nassen Blatt kommen die floralen Noten wieder stärker durch, die mich jedoch auch nicht unbedingt glücklich machen. Mit den späteren Aufgüssen wird der Geruch etwas entspannter und in der zweiten Session geht es sogar deutlich mehr in Richtung exotischer Fruchtnoten (v.a. Kakaofrucht)... vielleicht ist ja doch noch nicht alle Hoffnung verloren. Das Aroma des Aufgusses ist schon in der ersten Session deutlich besser. Die Röstung bringt jetzt Noten von Datteln, Feigenbaum, Schokolade und Krapfen hervor. Am Gaumen hat der Tee zunächst einen scheinbar eher dünnen Körper für einen Yancha, dafür ist er schön weich im Mundraum. Er ist etwas säuerlich, was in Verbindung mit den dezenten Fruchtaromen entfernt an den Geschmack von Apfelsaft erinnert. Die säuerliche Note wird ergänzt durch eine merkliche Mineralität, was besonders den vorderen Mundraum und das Zahnfleisch etwas zu stark beschäftigt. Die Röstung war wohl einfach zu heftig. Nach dem Auslüften wird aber auch dieser Aspekt zumindest ein bisschen besser und die Mineralität wirkt besser integriert. Außerdem wirkt der Tee tatsächlich körperreicher als in der ersten Session Im Abgang ist das Zahnfleisch nach wie vor überfordert mit Säure und Mineralität und auch im Rachen wird es jetzt etwas kratzig, aber die Aromatik ist ganz gut: florale und schokoladige Noten ebben auf und ab, ohne dass jeweils eine Note die klare Überhand behält. Ich hätte mir mehr Dominanz der Schokolade gewünscht, aber naja, ich hätte mir generell einen anderen Tee gewünscht. Da habe ich Wuyi Origin in meinem vorherigen Beitrag noch so hochgelobt und dann solch ein Ausrutscher... Wenn man mal die Kirche im Dorf lässt, ist der wohl durchaus okay. Vermutlich wird er von einem weiteren Auslüften profitieren. Trotzdem: im Vergleich zu dem hohen Niveau, welches WO und Lazy Cat sonst an den Tag legen, ist das durchaus ein Ausreißer.
Wuyi Origin Gao Cong Shui Xian 2020
Im trockenen Zustand ist der Geruch dem des anderen WO Shui Xians recht ähnlich, also ebenfalls etwas unangenehm. Schon im vorgewärmten Kännchen wird es jedoch entspannter. Der Funk geht jetzt in eine erdigere Richtung, Schokoladennoten kommen auf. Im nassen Blatt konkretisieren sich die erdigen und schokoladigen Noten nebst eindeutig kräutrigen Aromen... so langsam wird's echt interessant! Der Aufguss hat eine sehr dunkle Farbe und Aromen von Krapfen, Malz und Vegetation in der mediterranen Sonne. Am Gaumen überzeugt der Tee mit einem sehr vollen Körper und butterweicher Textur. Aromatisch dominieren Malz, Moschus und Erde, sowie nach hinten raus eine klare Note von Nori-Blättern. Eine latente Bitterkeit begleitet den Geschmack und lässt den Tee im Zusammenspiel mit den genannten Noten ziemlich ernst wirken. Erst im Abgang setzt die Mineralität so richtig ein, deren Trockenheit an dieser Stelle aber super passt und eine Menge Spaß und Lust auf den nächsten Schluck macht. Durch sie ist der Abgang laaang. Das Huigan ist überraschend fruchtig und süß.
Wow, das ist mal etwas anderes! Ein wirklich herausfordernder Tee, der mich aber schnell in seinen Bann gezogen hat und ein ganz besonderes Aromenspektrum bietet. Wenn man über die paar "Fehlnoten" und Startschwierigkeiten hinweg sehen kann, wird man am Gaumen mit einem Tee von großer Qualität belohnt.
Lazy Cat Tea Gao Cong Shui Xian 2020 Im trockenen Blatt fruchtige Aromen (Maracuja, Apfel), sowie Magnolie und Kakao. Im warmen Kännchen weiterhin duftig mit Magnolie, Apfel und Maracuja, sowie einem klitzekleinem bisschen Funk durch die Röstung. Im nassen Blatt werden die blumigen Noten stärker betont. Der Aufguss riecht zwar nicht besonders expressiv, aber süß mit Krapfen und floralen Noten. Am Gaumen ist der Tee dann jedoch außerordentlich aromatisch mit Magnolie und milder Frucht (v.a. Apfel), sowie einer deutlich zu vernehmenden, angenehmen Gerstengras-Note. Körper und Textur sind gut und werden von einer leichten Bitterkeit und Mineralität begleitet. Der Tee ist ein ganz kleines bisschen kratzig am Rachen, ich habe dahingehend allerdings auch eine ziemlich niedrige Wahrnehmungsschwelle und möchte es daher nicht überinterpretieren. Der Abgang liefert ein Butter-Aroma, fruchtige Noten (Maracuja), Krapfen und Magnolie. Das yan yun ist zwar definitiv vorhanden, aber kommt irgendwie etwas klebrig rüber, anstatt einfach trocken und sauber... zu diesem Eindruck trägt der insgesamt sehr süße Charakter mit Sicherheit bei. Das Huigan ist dafür erfreulich frisch Nett, aber kein Highlight. Irgendwie nicht tiefgründig genug für einen richtig guten Yancha.
Lazy Cat Tea Lion Mount Shui Xian 2020 Bananenbrot vom feinsten, Himbeeren und Schokolade im trockenen Blatt. Mjam! Nach dem Schütteln der Blätter im vorgewärmten Kännchen werden die fruchtigen Noten (Himbeeren und Traube) betont. Im nassen Blatt geht es noch stärker in Richtung Traube und generell in Richtung der helleren Fruchtnoten. Mango ist auch dabei, ein paar Fermentationsnoten ebenfalls. Später kommen Aromen von Tropenholz und eine warme Nussigkeit zum Vorschein. Im Aufguss zeigen sich Dattel, Holz und Pflaumenkompott... der scheint recht stark oxidiert zu sein. Am Gaumen ist der Tee mega weich und vollmundig, sowie latent bitter. In aromatischer Hinsicht dominieren die holzigen Noten, aber auch das Bananenbrot und die Schokolade kommen nochmal durch. Der Abgang ist dezent bitter und liefert eine Mineralität, deren Intensität Sekunde für Sekunde nach dem Schlucken steigt. Man fängt regelrecht an zu sabbern. Gleichzeitig stellen milde Gebäck-Noten eine erstaunliche Balance her, es schweben sogar ein paar süß-blumige Noten vorbei. Der Ausklang wird dann aber so richtig trocken und verleitet unweigerlich zum nächsten Schluck. Das ist, ich wage zu behaupten, yan yun par excellence. Wow, das ist ein herausragender Tee! Allerdings nicht sooo ausdauernd, der scheint wirklich mehr über die Oxidation zu kommen.
Cha Dao Lao Cong Shui Xian 2020 (Sample von @Anima_Templi) Das trockene Blatt riecht zurückhaltend nach Datteln und entfernt blumig. Im warmen Kännchen wird der Duft plötzlich außerordentlich erdig für einen yancha. Auch im nassen Blatt ist der Duft weiterhin sehr erdig und erinnert fast schon an einen Shou. Der Tee wirkt jetzt aber auch wieder etwas süßer. Ist der möglicherweise ungewollt fermentiert? Der Aufguss riecht dezent vanillig... ehm, ist das wirklich kein Shou? Am Gaumen ist der Tee schön weich und rund. Er hat keinen außerordentlich schweren Körper, ist aber auch nicht dünn. Auf der aromatischen Ebene zeigen sich Vanille und etwas Aprikose. Der Abgang ist sauber und kurz, trocken, vielleicht sogar mineralisch (was sich dann mit dem Begriff "yan yun" beschreiben ließe). Es dominiert das holzige Vanille-Aroma. Der war nicht schlecht, aber irgendwie so gar nicht das, womit ich gerechnet hatte. Wenn Anima da nicht "Lao Cong Shui Xian" drauf geschrieben hätte... ich würde ihn wohl für einen Shou halten. @Anima_Templi hast du noch etwas von dem Tee da, oder ihn in letzter Zeit nochmal probiert? Mich würde interessieren, wie du ihn findest. Ich bin in meinen Yancha-Verkostungen ja momentan stark durch das Sortiment von Wuyi Origin und Lazy Cat geprimed. Vielleicht weicht der Tee daher subjektiv stärker von einem "üblichen" Yancha ab, als es objektiv der Fall ist.