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"Tee war im Anfang Medizin und wurde erst allmählich ein Getränk. Im China des achten Jahrhunderts kam er ins Reich der Poesie als etwas, das zum guten Ton gehörte. Das fünfzehnte Jahrhundert sah Japan ihn erhöhen zu einer Religion des Ästhetizismus, zum Teeismus."

So beginnt Okakuras Buch vom Tee in der Übersetzung von Marguerite und Ulrich Steindorff, die seit Jahren als abgegriffenes Insel-Büchlein bei mir im Regal steht. Nun wollte ich den Klassiker wieder einmal lesen. Weil mein Exemplar wirklich schon ziemlich altersschwach ist, habe ich mir das Taschenbuch "Ritual der Stille" aus dem Herder-Verlag bestellt, das zusätzlich zum kompletten und neu übersetzten Text des Buches vom Tee ein Vorwort und ein Nachwort von Soshitsu Sen enthält. Vorwort und Nachwort sind auch ganz nett, aber von der "modernen" Übersetzung von Judith Mayer habe ich nur die ersten beiden Seiten gelesen und das Buch dann zur Seite gelegt.

"In seinen Anfängen wurde Tee als Medizin eingesetzt und entwickelte sich dann zum Getränk. In China trat er im 8. Jahrhundert in den Bereich der Dichtung ein, und zwar als eine vornehme Art und Weise, sich zu vergnügen. Im 15. Jahrhundert wurde er in Japan zu einer Religion des Ästhetizismus entwickelt - Teeismus."

Bin ich zu empfindlich oder altmodisch? Für mich ist der Text in der Neuübersetzung, die ja auch schon wieder mehr als 20 Jahre alt ist, völlig unlesbar. Ich gehe so weit zu sagen, dass hier in dem Bestreben es anders zu machen als die Vorgänger - es gibt noch eine andere ältere Übersetzung von Horst Hammitzsch, dem Autor von Zen in der Kunst des Tee-Weges - ein klar, präzise und elegant geschriebenes Buch komplett verhunzt wurde. Wenn es nur der Anfang wäre; aber es geht genau so weiter. Mit unnötigen Passiv-Konstruktionen, verschachtelten Nebensätzen und anderen Merkwürdigkeiten. So ist zum Beispiel ein und derselbe Gedichtvers im Haupttext und im Nachwort unterschiedlich übersetzt, ohne dass es dafür einen ersichtlichen Grund gibt.

Vielleicht wollte der Herder-Verlag den eher "literarisch" anmutenden Übertragungen von Steindorff und Hammitzsch eine wissenschaftlich-sachliche Interpretation des Textes entgegensetzen. Das ist für mich doppelt misslungen. Erstens aufgrund der mangelhaften Qualität der Übersetzung und zweitens, weil es dem Anspruch des Buches von Okakura überhaupt nicht gerecht wird. Denn es war ja nicht die Intention Okakuras ein Sachbuch über die japanische Teezeremonie zu schreiben; vielmehr wollte er einen Beitrag zum Verständnis der Kulturen leisten, damit sich die Welt in einer Schale Tee finde.

Jedenfalls kann ich die Herder-Ausgabe des Buches vom Tee nicht empfehlen. Es gibt wohl noch eine weitere ganz aktuelle Übersetzung von Tom Amarque, die ich nicht kenne. Bisher hat sich hier für mich aber mal wieder gezeigt, dass neuer nicht immer besser sein muss.

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