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Theorie-Einstieg in die Puer-Welt


Empfohlene Beiträge

Nach vier Jahren in der Puer-Welt möchte ich anfangen, ein paar Fragen zu sammeln, um den Einstieg für Neulinge zu unterstützen. Dabei geht es eher um die Theorie, für die Praxis gibt es hier ja andere Einträge, wie Pu erh Einstieg, Kaufen, Empfehlungen - Pu-Erh Tee allgemein - TeeTalkBeginning Puerh with $100 - Pu-Erh Tee allgemein - TeeTalkLeitfaden für Anfänger (Einstieg in die Welt des Tees für Jedermann) - Tee-Zubereitung + Tee-Rezepte allgemein - TeeTalk

Was ist besonders an Puer?

Puer unterscheidet von vielen anderen Tees, dass er lagerfähig ist und mit der Zeit durch Fermentation reift. Definiert ist er durch die Tee-Varietät C. sinesis assamica, der Herkunftsregion Yunnan (mit ihrem Reichtum an (Mikro)organismen) und der Sonnentrocknung im Zuge der Tee-Verarbeitung. Puer wird ähnlich wie grüner Tee verarbeitet, nur werden die Blätter weniger stark geröstet (kill green bzw. sha qing) und sollten in der Sonne getrocknet werden. Dadurch bleibt der Tee sozusagen lebendiger (Enzyme, Bakterien und Pilze bleiben erhalten). Nach dem Trocknen kann er mit Dampf angefeuchtet werden, um ihn in Form zu pressen; z. B. in Scheiben, Ziegel, Nest und Pilz-Form. Der eigentliche Zweck davon war die bessere Transportfähigkeit. Dass er dadurch auch lagerfähiger wurde, war ein Nebeneffekt, der - wie sich gezeigt hat - positive Auswirkungen auf den Tee hat: Er reift mit den Jahren. Das ändert seinen Geschmack, aber auch seine Wirkung.

Wie reift Puer?

Wie andere Lebensmittel kann Puer durch natürlich vorkommende Mikroorganismen fermentieren. Wir kennen das von Sauerkraut und Käse. Bei Puer läuft dieser Prozess nur sehr viel langsamer ab, hauptsächlich wegen den vergleichsweise trockenen Bedingungen. Durch eine höhere relative Luftfeuchtigkeit kann die Reifung ein wenig beschleunigt werden, geht aber trotzdem in Zeiträumen von Jahren vor sich.

Wie unterscheiden sich Sheng und Shou Puer?

Der traditionell verarbeitete Tee wird Sheng cha (roher Tee) genannt. Um die Reifung des Tees zu beschleunigen, wurden in den 1970ern industrielle Fermentierungsprozesse für Shou cha (gekochter Tee) entwickelt. Nachdem der Tee mit Mikroorganismen geimpft und befeuchtet wird, fermentiert er unter warmen Bedingungen ca. 1-2 Monate. Dieser Vorgang war im Prinzip bereits in einigen Tee-Traditionen Yunnans und anderer Regionen Chinas (aber auch Japan etc.) bekannt. Der Auslöser für die Industrialisierung des Fermentationsprozesses war die erhöhte Nachfrage aus Hong Kong nach gereiften Puer.

Wie kam es zur erhöhten Nachfrage nach reifem Puer

Dass gelagerter Puer trinkbar ist, wurde zufällig entdeckt. Es gibt unterschiedliche Legenden dazu. Eine gängige Annahme vermutet längere Transportaufenthalte als Ursache des Zufallsfunds. Die wichtigste Handelsroute für Puer führte nach Tibet, wo der Tee gegen Pferde getauscht wurde. Wenn dabei Tee verloren, vergessen oder aus sonstigen Gründen über längere Zeit in Ruhe gelassen wurde, konnte seine Wiederentdeckung für den Zufallsfund gesorgt haben. Eine andere, wahrscheinlichere, Theorie sieht die Ursache der Lagerung von Puer in Grenzschließungen im Zweiten Weltkrieg, der Südostasien, insbesondere Hong Kong, von seiner Teeversorgung abschnitt. Die erzwungene Lagerung von Puer-Tee im heiß-feuchten Klima ermöglichte seine Fermentation. Es brauchte aber noch einige Jahrzehnte bis die Vorteile dieses Prozesses in Südostasien geschätzt wurden. Gelagerter Puer-Tee galt eher als günstiger Ersatz für frischen Tee. In Yunnan selbst ist erst durch die Nachfrage aus Südostasien die Reifung von Puer verbreitet worden. Eine besondere Rolle spielte dabei ein Gruppe von Puer-Enthusiasten aus Taiwan, die nach der Rückgabe Hong Kongs an China relativ günstig an gereiften Puer von Hong Kong-Flüchtlingen gelangten, und Puer geschickt vermarkten konnten.

Warum wurde und wird reifer Puer geschätzt?

Aus der Not wurde eine Tugend und mit der Zeit wurde Puer von der zweiten immer öfter zur ersten Wahl, v.a. bei fettigem Essen. In Hong Kong wurde Puer zum festen Begleiter bei Dim Sum (Yum cha), dem reichhaltigen Brunch. Puer wurde dabei aufgrund seiner magen- und verdauungsfreundlichen Wirkung sowie seiner Bekömmlichkeit geschätzt. Geschmacklich unterschied er sich durch sein vergleichsweise sanftes Profil mit geringer Bitterkeit und Adstringenz. Die Reifung soll den Tee runder und geschmeidig machen. Dabei treten neue Geschmacksnoten auf, die oft mit Erdigkeit bis hin zur Muffigkeit und Trockenobst assoziiert werden. Abhängig von den Teeblättern und den Lagerparametern können komplexe Geschmacksnoten heranreifen.

Sollte frischer Puer nicht getrunken werden?

Junger Puer wurde und wird getrunken. In der Regel verringert sich mit der Reifung jungen Puer-Tees jedoch seine Bitterkeit und Adstringenz, wodurch er für viele bekömmlicher wird, gerade bei empfindlicheren Magenschleimhäuten. Häufig wird empfohlen, Puer erst nach einem Jahr zu trinken. In den letzten Jahren wird die Verarbeitungstemperatur und -dauer oft so angepasst, dass frisch verarbeiteter Tee bereits süsslicher schmeckt und wenig adstringent wirkt. Damit geht jedoch die Vermutung einher, dass diese Tees weniger gut reifen, u. a. da weniger aggressive Ausgangseigenschaften zum abrunden vorhanden sind. Andere Erfahrungen verweisen jedoch darauf, dass in der Vergangenheit auch sanftere Tees (z. B. aus Yi wu) gut reifen konnten.

Weitere Fragen könnten sein:

  • Welchen Einfluss haben Lagerbedingungen auf Puer?
  • Wie sollte Puer aufbewahrt werden?
  • Welche Wirkung auf Körper und Geist können die Inhaltsstoffe von Puer haben?
  • Welche gesundheitlichen Auswirkungen hat Puer?
  • Wie wird Puer vor- und zubereitet?
  • Ist Puer besonders pestizidbelastet?
  • Was hat es mit den Factories auf sich?
  • Welche Rolle spielt die Anbauregion?

Wer möchte, kann gerne Fragen/Antworten dazu in diesem Thread sammeln. 

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Welchen Einfluss haben Lagerbedingungen auf Puer?

Wenn das Besondere an Puer seine Reifung ist, liegt es nah darauf zu achten, wie er gelagert wird. Ob der Effekt der Reifung nun in HK oder in Yunnan aufkam: Beide sind relativ heiße Gegenden mit größtenteils hoher Feuchtigkeit (über 70% relativer Feuchtigkeit). Für die Fermentation sind das gute Bedingungen. Aber auch wenn gereifter Puer durch diese traditionelle Lagerung seinen Aufschwung erlebte, geht heute der Trend hin zur trockenen Lagerung, hauptsächlich weil der Großteil Chinas eine relativ niedrige Luftfeuchtigkeit (unter 70% RH) aufweist. Im Gegensatz zur traditionellen  wird der trockenen Lagerung nachgesagt, den ursprünglichen Charakter des Tees eher zu erhalten, da er eben langsamer fermentiert. Puer-Trinker, die tradtionell gelagerten Puer bevorzugen, achten aber genau darauf, wie der Tee sich mit den Jahren wandelt - das macht einen Teil des Reizes aus. Assoziiert werden z. B. Noten von Holz, Tabak, Kampher, Trockenobst, Ätherische Öle, aber auch die Muffigkeit alter Möbel und Bücher. Von der Wirkung her wurde solcher Tee aufgrund der Reduktion seines Koffeingehalts und anderer Änderungen in den Wirkstoffen geschätzt, die zu einem besonderen cha qi (s.u.) führen. Oft wird betont,  dass traditionell gelagerter Puer bekömmlicher ist. Dieser Aspekt wird jedoch auch bei trockener Lagerung erreicht und wird durch die Qualität der Teeblätter und moderner Verarbeitungstechniken immer weniger wichtig. Es bleibt abzuwarten, wie diese Tees reifen werden.

Wie sollte Puer aufbewahrt werden?

Wie nun gereifter Puer nach dem Kauf gelagert werden sollte, ist ein heiß diskutiertes Thema. Im Grunde ist es einfach, solange der Zweck der Heimlagerung primär die Bewahrung des Tees ist. Dann gelten die üblichen Lagerbedingungen für Tee: licht- und geruchsgeschützt (möglichst mit ähnlichen Tee, zumindest Sheng und Shou getrennt), nicht vollständig luftdicht, keine hohen Temperatur- oder Luftfeuchtigkeits-Schwankungen, am besten zwischen 50% und 70% RH und 15-30°C. Einfacher ausgedrückt: Eine Umgebung, die auch für uns Menschen auf Dauer gesund ist. Unter diesen Bedingungen ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass der Tee seinen Charakter stark ändert - im positiven und negativen Sinn. Wenn nun andererseits der Käufer möchte, dass der Tee weiterreift, sind mehr oder weniger  komplexe Vorkehrungen zu treffen, die in Glaubensfragen ausarten können und zu denen im www gewühlt werden kann. 

 

Bearbeitet von blickwinkel
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Danke für deine schönen Zusammenschriebe @blickwinkel. Ein guter Einstieg!

Ich würde zur Aufbewahrung ergänzen, dass Puerh auch bei der "regulären" Lagerung reifen wird. Langsamer als bei höherer Feuchtigkeit, und die charakterliche Entwicklung ist auch etwas anders.

Wenn man einen 10 Jahre alten Puerh trocken lagert, wird tatsächlich nicht mehr viel passieren. Aber jüngere Tees ändern sich noch stark.

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On 7/9/2023 at 7:42 PM, blickwinkel said:

HK oder in Yunnan aufkam: Beide sind relativ heiße Gegenden mit größtenteils hoher Feuchtigkeit (über 70% relativer Feuchtigkeit)

Ich weiß nicht, ob das jetzt new school ist, aber ich würde Yunnan storage nicht mit HK traditional in einen Satz bringen 😅

Natürlich ist die relative Luftfeuchtigkeit "hoch", aber man sollte auch die Durchschnittstemperatur im Auge behalten. 70% Luftfeuchtigkeit bei 25°C sind ganz weit weg von 70% Luftfeuchtigkeit bei 35°C.

Ich würde Kunming storage wohl schon als sehr trocken einstufen. Das ist ja fast schon eine Zeitkapsel, wohingegen 3 Jahre HK basement schon eine andere Hausnummer ist. Und dazu kommt, dass Kunming/ Yunnan jetzt gar nicht so heiß ist, wie man meinen könnte. Es ist mehr so, dass das ganze Jahr sich wie Frühling anfühlt, wohingegen HK richtig heiß und feucht ist, bei einer Durchschnittstemperatur von ~20°C.

Vielleicht gehöre ich noch einer älteren und aussterbenden Generation an, aber wenn ich Kunming storage lese, dann lass ich die Finger davon :)

Da kaufe ich mir lieber einen jungen sheng und packe den bei mir in die Hotbox. Da passiert mehr haha

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15 minutes ago, DavidL said:

Hast du diese Hotbox schon einmal vorgestellt? 😇

Nein, bisher nicht. Ich war und bin meistens nur stiller Mitleser in diesem Forum. Habe auch erst kürzlich einen Account angelegt. Normalerweise bin ich in den englischen Foren, vor allem aber in discord aktiv.

Meine Hotbox ist nichts anderes als ein warmer "Pumidor" mit etwas über 32°C und etwa 70% relativer Luftfeuchtigkeit.

Bin am überlegen noch einen kleineren zu bauen mit ungefähr 38°C und ebenfalls 70% Luftfeuchte. Es sind gerade ein paar Tuos unterwegs, "frisch" aus 2021 und '22. Will dann schauen, wie sich die gleichen Tuos einmal bei Zimmertemperatur und Raumluft, normaler Pumidor und Hotbox verändern. Ich denke da müsste man zur Hotbox schon nach 6 Monaten einen deutlichen Unterschied sehen.

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vor 1 Stunde schrieb Ygdrasil:

Ich weiß nicht, ob das jetzt new school ist, aber ich würde Yunnan storage nicht mit HK traditional in einen Satz bringen 😅

 

So ist das natürlich nicht gemeint😇, und tatsächlich hatte ich Kunming im Hinterkopf, als ich "gößtenteils" schrieb, also dass in den Anfangszeiten der Popularität von Puer die Reifung in Gegenden "mit größtenteils hoher Feuchtigkeit" stattfand (damals war Kunming-Storage wohl noch kein großes Thema). 

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Nein, nicht wirklich haha

Ich glaube vor 88 Qingbing hat niemand wirklich was von Kunming storage gehalten oder gehört. Der Markt war auch einfach nicht da.

Zudem ist ja dry storage nun nicht wirklich komplett trocken. Jede Person, wie sie es mag natürlich :)

HK storage war zumindest das einzig bekannte nach dem Krieg. Deswegen auch "traditional". Zudem wurde der Tee ja auch nicht dauerhaft im Keller gehalten. Der kam da vielleicht für 3 Jahre oder so rein (je nach Entscheidung des Hauses) und dann wurde er rausgenommen und nochmal vielleicht so für 9 bis 12 Jahre zur Seite gelegt um das Keller Odour abzuschwächen 😂

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Was hat es mit den Factory und Boutique auf sich?

Traditionell wurde Puer von Familien den unterschiedlichen Ethnien Yunnans angebaut. Das ist teilweise noch immer so, auch wenn seit den 1930er Jahren durch die Industrialisierung immer mehr Plantagen entstanden. Oft wird dieser Tee als Taidi cha bezeichnet, mit tendenziell kleineren Teeblättern als die älteren (Da shu) und jahrhundertalten (Gu shu) Teebäume. Als Fabrik bzw. Factory wird nun das Unternehmen selbst bezeichnet (zB. Menghai Tea Factory), die Markennamen (zB. Dayi) für ihren Tee verwenden. Der Tee der großen Fabriken wurde und wird häufig numerisch bezeichnet, wobei die letzte Zahl ursprünglich für die Firma stand, die dritte Ziffer die (durchschnittliche) Blattgröße und die ersten zwei Ziffern das Einführungsjahr des "Rezepts" (Blend) bezeichnet. Bei neueren Produkten ist das nicht unbedingt so. Bis zu ihrer Privatisierung in den 1980/90er standen alle Puer-Fabriken unter der Verwaltung des staatlichen Unternehmen CNNP. Danach wurde das CNNP-Logo für generisches Branding verwendet, bis in 2006 die Verwendung des CNNP-Marke eine Zertifizierung erforderte.

Mit dem Puer-Boom der 2000er Jahre kamen immer mehr kleine Unternehmen in den Markt, die sich durch ihre Spezialisierung von den großen Fabriken unterscheiden. Der Unterschied kann in der Verwendung von Tee einer spezifischen Anbauregion (Region bis hin zu Dorf), spezifischen Teebäumen (Gu shu, Wild vorkommender Tee, Tee aus Wäldern), einzelnen Teegärten oder anderen Formen der Spezialisierung (wie der Mischung oder der kreativen Benennung und Verpackung des Tees) liegen.

Welche Rolle spielt die Anbauregion?

Puer-Enthusiasten fokussieren mit der Zeit häufig auf bestimmte Tee-Regionen in Xishuangbanna, der Heimat von Puer, oder angrenzende Regionen. Puer wird also nicht nur bezüglich der Relevanz der Reifung mit Wein verglichen, sondern auch wegen der Bedeutung des Terroirs. Bestimmten Gegenden werden bestimmte Eigenschaften des resultierenden Tees nachgesagt, die im Geschmack, der Wirkung, der Eignung zur Reifung usw. liegen können. Traditionell wird innerhalb von Xishuangbanna grob der kräftigere Tee westlich (klassischer Weise Menghai, King of Puerh) vom sanfteren Tee östlich des Lancang Flusses (klassischer Weise Yiwu, Queen of Puerh) unterschieden. Die Vielfalt des Terroirs ist jedoch viel feiner, bis hin zu Puer-Profilen bestimmter Dörfer und Teegärten. Gerade deswegen ist das Erproben von Tee nicht nur unterschiedlicher Fabriken, sondern auch unterschiedlicher Regionen ein guter Einstieg in die Puer-Welt.

Bearbeitet von blickwinkel
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  • 3 Wochen später...

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