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Lu Shan Yun Wu


SoGen

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Lushan Yunwu Cha (廬山云雾茶) - Wolken-und-Nebel-Tee vom Klausenberg

Auf die Gefahr hin, Eulen nach Athen zu tragen, hier einige Worte über diesen Grüntee-Klassiker, dessen Ruf - unverdient, wie ich finde - etwas hinter dem anderer wie Xihu Longjing, Dongting Biluochun oder Huangshan Maofeng zurücksteht. Vielleicht ist das eine oder andere ja dem Leser noch nicht bekannt - und wenn ich selbst einer Falschinformation aufgesessen sein sollte, wäre ich selbstverständlich für eine Korrektur dankbar. Von besonderem Interesse ist bei diesem Tee der komplexe Verarbeitungsprozess, der 'panfire'- und 'bake'-Techniken für eine schonende Aufbereitung kombiniert.

Zunächst jedoch zum Herkunftsgebiet. Der Lushan im Norden der Provinz Jiangxi südlich der Stadt Jiujiang ist eine nicht nur in geologischer und botanischer Hinsicht bemerkenswerte, spektakuläre Landschaft mit steilen Klippen, Grotten, Wasserfällen (darunter der 155 m hohe Drei-Stufen-Wasserfall 三叠泉瀑布) und Seen, sondern auch kulturgeschichtlich von großer Bedeutung. Der Lushan Nationalpark steht seit 1996 auf der 'World Heritage List' der UNESCO. Der Lushan ist bzw. war nicht nur ein Zentrum des Buddhismus wie auch des Daoismus; dort findet sich auch die um 940 gegründete Akademie zur Weißen-Hirsch-Grotte (白鹿洞书院), die renommierteste der vier klassischen chinesischen Akademien und wichtiges Zentrum des Konfuzianismus. Der Lushan zog immer wieder bedeutende Intellektuelle, Dichter und Maler an und wurde aufgrund seiner landschaftlichen Schönheit zum Ursprungsort und locus classicus der chinesischen Landschaftsmalerei wie auch der Landschaftsdichtung.

Dazu ein Beispiel: das vielleicht berühmteste chinesische Landschaftsgedicht stammt von Su Shi (蘇軾) und trägt den Titel 'Inschrift auf der Wand des Westwald-Tempels' (題西林壁). Su Shi (auch Su Dongpo 蘇東坡, 1036-1101) war ein Universalgenie; nicht nur Maler und Kalligraph (der am höchsten geschätzte der Song-Dynastie), sondern auch Humanist, Ingenieur, kaiserlicher Sekretär, Richter und politischer Dissident. Vor allem jedoch war er einer der größten Dichter Chinas. Im Jahre 1084 wurde Su Dongpo nach Junzhou in Henan verbannt. Auf dem Weg ins Exil durchquerte er den Lushan mit seinen zahlreichen buddhistischen Tempeln und Klöstern. Der Zen-Laienanhänger Su Shi besuchte dort auch den Westwald-Tempel (Xilin Si, 西林寺)  mit seiner berühmten Qianfo-Pagode von 951, dem Turm der tausend Buddhas. Noch heute lebt dort eine Gemeinschaft buddhistischer Nonnen und in der Pagode befinden sich 1800 Jadestatuen Buddhas. Dort, als Inschrift auf einer Mauer, hinterließ Su Dongpo das Gedicht - ein klassisches Qiyan Shi (七言詩); vier Zeilen mit jeweils sieben Schriftzeichen:

橫看成嶺側成峰
遠近高低各不同
不識廬山真面目
只緣身在此山中

das ebene wird gebirge, steigend wird es gipfel
von fern, von nah, von oben, unten - immer wandelnd zeigt sich
des lushan wahres gesicht, nie ist es zu erkennen
weil wir selbst inmitten dieser berge sind

Über die bedeutenden Besucher des Lushan - viele unter ihnen passionierte Teeliebhaber - verbreitete sich auch der Ruf des hier erzeugten Tees. Man findet gelegentlich die Angabe, bereits Lu Yu (陸羽, 728-804) habe in seinem berühmten 'Klassiker vom Tee' (Chajing, 茶經) diesen Tee erwähnt, was ich jedoch nicht verifizieren konnte - im heutigen Jiangxi wird da vielmehr auf das südwestlich der Lushan-Region gelegene Yuanzhou (heute Yichun, ein Zentrum der Teeöl-Produktion) und das südlich an Yuanzhou anschließende Jizhou (heute Ji'an) verwiesen. Spätestens während der Song-Dynastie (960 - 1279) jedoch hatte der Tee vom Lushan einen legendären Ruhm erworben und wurde zum kaiserlichen Tributtee erklärt.

Wie so häufig in China waren auch hier buddhistische Mönche Pioniere des Teeanbaus. Die Teeproduktion im Lu Shan geht der Überlieferung nach auf  Huiyuan (慧遠, 334–416) zurück, eine Schlüsselfigur bei der Inkulturation des Buddhismus in China, der erster Abt des 386 erbauten Dongling Si (Ostwald-Tempel, 東林寺) wurde und dort im Jahr 402 eine Gemeinschaft aus Mönchen und Laien gründete, die zur Keimzelle der Jingtu zong (淨土宗), der 'Schule des Reinen Landes', wurde. Huiyuan soll in dieser Region wilde Teebüsche vorgefunden und für die Anlage der ersten Teegärten im Lushan Sorge getragen haben. Das Klima ist für den Teeanbau optimal - ein subtropisches Monsunklima, jedoch aufgrund der Höhenlage (der Dahanyang 大汉阳峰 ist mit 1.474 m der höchste Gipfel) mit ausgeprägten Jahreszeiten; es gibt im Winter sogar Schnee. Dabei sorgen neben dem Monsun der Chang Jiang (Jangtse) im Norden und der Poyang Hu (Chinas größter Süßwassersee) im Osten und Südosten für Kühlung und Feuchtigkeit. An durchschnittlich 190 Tagen im Jahr gibt es hier Nebel. Die Teegärten liegen typischerweise in Höhen um 800 - 1.000 m über NN; das kleine Städtchen Guling im Zentrum des Lushan liegt in etwa 1.100 m Höhe.

Gepflückt wird der Yunwu ausschließlich im Frühjahr, wobei der Mingqian (明前) - also der vor dem Qing-Ming-Fest (清明节) am 15. Tag nach dem Frühlingsäquinoktium gepflückte Tee - der gesuchteste und teuerste ist. Ein Sheqian (社前), also ein noch vor dem Frühlingsäquinoktium gepflückter Tee aus dieser Region, ist mir noch nie begegnet; das Klima scheint solch extreme Frühpflückungen hier nicht zuzulassen.  Yuqian (雨前), d.h. in den 15 Tagen nach dem Qing-Ming-Fest gepflückter Tee, ist hingegen relativ problemlos erhältlich. Gepflückt werden in qualitätsbewussten Teegärten nur Knospe und das erste Blatt (sog. 'kaiserliche Pflückung').

Unmittelbar nach der Pflückung, die üblicherweise am frühen Morgen stattfindet, beginnt die Verarbeitung mit dem 'töten des Grün' (shaqing, 杀青). Dafür wird das Pflückgut in kleinen Portionen (350-400 gr) in einem Wok bei 150-160° C (relativ schonend, üblich sind sonst ca. 180°) etwa 6-7 Minuten erhitzt. Danach folgt das 'schütteln und zerstreuen' (dousan, 抖散), auf Bambusmatten, das für schnelle Abkühlung sorgt und ein Gelbwerden der Blätter verhindert. Anschließend wird das noch warme Blattgut auf Bambustabletts gerollt und geknetet  (rounian, 揉捻). Man lässt die Teeklumpen einige Minuten ruhen, bevor man sie wieder auflockert und sie ein zweites Mal im Wok erhitzt. Dabei werden die Blätter zwischen den Händen gerollt, wobei auch der silbrige Flaum hervortritt bzw. sich deutlich farblich abhebt (tihao, 提毫). Das Blattgut hat nun einen Feuchtigkeitsgehalt von ca. 80%. Es wird erstmals verlesen, d.h. gelbe oder sonst unansehliche Blätter werden von Hand aussortiert. Danach beginnt die eigentliche Trocknung mit seiner ersten Phase (chugan, 初干). Dabei wird der Feuchtigkeitsgehalt bei niedriger Temperatur (ca. 80° C) im Wok auf 30-35% reduziert. Anschließend wird das Blattgut geformt (cuotiao, 搓条) und dann ein zweites Mal verlesen, bevor die abschließende Trocknung (zaigan, 再干) den Feuchtigskeitsgehalt weiter auf ca. 6% reduziert. Dies geschieht nun nicht mehr im Wok, sondern der Tee wird auf Bambus etwa 20 Minuten mit 75 - 80° C heißer Luft getrocknet ('gebacken'). Man lässt dann den Tee einige Stunden an frischer Luft auskühlen und ruhen, bevor er verpackt wird. Das Geschmacksprofil ist frisch und harmonisch, floral mit dezenter Süße und anhaltendem Duft. Ein Frühlingsversprechen ...

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Schauen wir mal, wie sich das wahre Gesicht des Lushan in diesem Yunwu, einem bescheidenen Yuqian, zeigt. Um es zu erkennen, bedarf es freilich auch noch des Geruchs- und Geschmacksinns - und achtsamer, respektvoller Behandlung des Tees. Wer sich darin verliert, vergisst dann auch die Berge ...

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Bearbeitet von SoGen
typo
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  • 9 Monate später...

Ich mag den Nebel Tee ausgesprochen gerne. Er scheint auch insgesamt sehr "preiswert" zu sein. Ich würde ihn sogar fast als Tee mit dem besten Preis/Leistungsverhältnis beschreiben.

Ich hatte Mal besucht, Nebeltees zu finden, die (vom Preis her) Highclass sind. Vergleichbar mit LongChing. Ist mir nicht gelungen 

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Ich habe hier noch knapp 50 gr (von 8 oz) einer 18er MingQian-Pflückung. Bezogen von TT (https://teatrekker.com/product/lu-shan-yun-wu/), mittlerweile vergriffen. Natürlich kein Preislevel wie bei Longjing oder Anji Baicha, aber trotzdem sehr respektable Qualität. Leider mE kein wirklich typischer Lushan Yunwu, wie schon das Blatt zeigt (verarbeitet im Zhen-Stil). Nachschub gibt's (voraussichtlich) erst wieder Juni '19 - da werde ich u.a. aus dem genannten Grund allerdings passen.

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  • 5 Monate später...
vor einer Stunde schrieb wahlium:

Irgendwie hätte ich bei 15,- was Besseres erwartet

Das würde ich auch. D.h. bei einem Lu Shan Yun Wu dieser Preisklasse würde ich zumindest einen erkennbaren Pflückstandard erwarten (Knospe + 2 Blatt / Mao Feng oder Knospe + 1 Blatt / Mao Jian). Wobei "erkennbar" heisst, das wenigstens ca. 1/4 - 1/3 des Blattguts diesem Standard entsprechen. Der abgebildete Tee ist anscheinend eine relativ grobe Maschinenpflückung (vgl. z.B. hier - wobei das "for women workers" :/ ein besonderes G'schmäckle hat ...). Handarbeit wird auch in China zunehmend teurer und Handpflückung zunehmend seltener und teurer. Wobei auch Maschinenpflückung etwas delikater (d.h. mit weniger Stengelanteil) durchgeführt werden kann, vgl. z.B. hier. Aber es geht natürlich auch so.

Das heisst jetzt nicht notwendig, dass der Tee sein Geld nicht wert ist - die Pflückung ist da nur ein Faktor unter vielen. Der hohe Stengelanteil muss nicht unbedingt ein geschmacklicher Nachteil sein, was sich die Japaner bei der Produktion von Kukicha zu Nutze machen. Typisch für einen klassischen Lu Shan Yun Wu ist er allerdings nicht.

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  • 3 Jahre später...

Ich glaube darauf bezog sich @GoldenTurtle als er in einem anderen Thread schrieb:

Am 9.4.2022 um 10:32 schrieb GoldenTurtle:

An anderer Front tut sich auch tolles - Gabriele scheint es dieses Jahr zu gelingen, einen bei uns seltenen, evtl. noch nie in solch einem guten Grade angebotenen Grüntee zu sourcen, den ich mir bereits letztes Jahr für sein Sortiment gewünscht habe - aber mit dem Tee gab es "Probleme". Ich verrate noch keine Namen, darüber dreht Gabriele, so wie ich ihn kenne, bestimmt ein Video - nur dass der Grüntee aus dem etwas nördlicheren China stammt, und man dort mit der Frühlingsernte natürlich etwas später dran ist als im südlicheren China. Und zu den "Problemen" - es hat sich herausgestellt, dass der Name, unter dem ein ähnlicher Tee bei mehreren Händlern im Westen angeboten wird, in aller Regel von viel geringerer Qualität ist, und der Name in China als reiner, preiswerter Export-Grosshandel-Grüntee produziert wird, jedoch das eigentliche, hochqualitativere "Original" in der westlichen Welt scheinbar von keinem einzigen Schwein angeboten wird. Ich habe heute schon ein Foto davon gesehen, und er sah etwa genauso aus wie derjenige, welchen ich vor ein paar Jahren als Glücksfall aber nur ein einziges mal zufälligerweise kriegen konnte.

Korrigiere mich wenn ich falsch liege @GoldenTurtle :) 

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@1sp34k2r0b0ts Eigentlich habe ich mit dieser Aussage diesen gemeint.
Den Lu Shan fand ich aber sehr positiv überraschend, der von Paul war dieses Jahr aber auch sehr ansprechend (will ich mal neutral in dem Thema angemerkt haben), und interessanterweise zum fast identischen Preis, gut Paul war dieses Jahr auch ausgiebigst vor Ort sourcen, aber zumindest in dem Moment gefiel mir der von Gabo noch einen Ticken besser - er hatte mAn etwas mehr hellere Frucht und etwas mehr Tiefe, was mir an dem recht warmen Tag gut gelegen kam.

Bearbeitet von GoldenTurtle
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@1sp34k2r0b0ts Solche doch recht bekannten Namen werden manchmal im Forum automatisch unterstrichelt, z.B. der Gallier ... über das unterstrichelte Wort braucht man dann nur mit der Maus darüberzufahren.

Abgesehen davon ein paar der kürzlich Erwähnten:

Paul (W2T)

David (EOT)

Scott (YS)

Gabo (=Gabriele, Nannuoshan)

mlt (ST)

Bearbeitet von GoldenTurtle
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